Dringernder Verdacht
anstehenden Prozess zugestellt, aber die meisten dieser
Leute hatten bereits im Strafprozess ausgesagt. Acht Unterzeichnete Vorladungen
waren samt Beiblatt mit den Zustellungsbestimmungen in einer Mappe abgeheftet.
Nichts deutete darauf hin, dass er neue Zeugen bestellt hatte... es sei denn,
die gelben Zustellungsbelege wären anderswo abgelegt worden. Einer
handschriftlichen Notiz konnte ich entnehmen, dass es sich bei dem neu
aufgetauchten Informanten um einen gewissen Curtis McIntyre handelte, unter
dessen angeblicher Telefonnummer kein Anschluss existierte und der unter der
letzten bekannten Adresse nicht mehr aufzufinden war. Ich notierte mir als
ersten Punkt, den Mann aufzuspüren, wie Lonnie es mir aufgetragen hatte.
Ich überflog seitenweise
Vernehmungsprotokolle und machte mir gelegentlich eine Notiz. Wie bei einem
Puzzle musste ich versuchen, mir das Bild auf dem Deckel einzuprägen und dann
die Teilchen Stück für Stück zusammenzusetzen. Mir war klar, dass ich in
manchem Morleys Vorgehen wiederholen würde, aber was er gemacht hatte, erschien
mir doch ein bisschen grobschlächtig, und ich hielt es für besser, noch einmal
von vorne anzufangen, zumindest in den kritischen Punkten. Wie ich mit den
Lücken in den Unterlagen verfahren sollte, wusste ich nicht genau. Ich war mit
den Kartons noch nicht durch, aber es war klar, dass ich alles auseinander
nehmen und neu sortieren musste, so dass es dem Verzeichnis entsprach. Manche
Spuren, die Morley verfolgt hatte, führten offensichtlich in eine Sackgasse und
konnten sicherlich ausgemustert werden, sofern sich nichts Neues ergab. Die
aktuellen Unterlagen musste er wohl in seinem Büro oder bei sich zu Hause
aufbewahrt haben, wie ich es auch tat, solange ich dabei war, Notizen
abzutippen und einzuheften.
Die nackten Fakten beliefen sich in
etwa auf das, was Kenneth Voigt angedeutet hatte. Isabelle Barney war in der
Nacht zum 26 . Dezember irgendwann zwischen ein und zwei Uhr gestorben,
als jemand aus kürzester Entfernung mit einer Handfeuerwaffe, Kaliber 38, durch
den Spion in ihrer Haustür auf sie geschossen hatte. Der Ballistiker sprach von
einem »fast aufgesetzten Schuss«, da das Loch in der Tür quasi als Verlängerung
des Laufs fungiert und Isabelles Auge beinahe die Türfüllung berührt hatte. Der
Schuss hatte das Holz am Rand des Lochs im rechten Winkel zu Isabelle hin
herausgefetzt, wobei jedoch vermutlich auch Partikel rückwärts zum Täter
geflogen waren. In Klammern merkte der Ballistiker trocken an, dass womöglich
auch »Materie« in den Pistolenlauf selbst gedrungen sei und einen zweiten
Schuss erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht habe. Den Rest des Absatzes
übersprang ich.
Das Mündungsfeuer hatte das Holz leicht
versengt. Der Bericht vermerkte Pulverspuren um den Lochrand auf der Außenseite
der Tür, im Inneren des Lochs sowie am Rand auf der Türinnenseite. Das Holz
ringsherum war durch den Druckstoß zersplittert. Das Schrot und die Überreste
einer blauen Plastik-Patronenkappe, die aus der Wunde entfernt worden waren,
deuteten darauf hin, dass es sich um ein Glaser-Sicherheitsgeschoss gehandelt
hatte, ein leichtes Hochgeschwindigkeits-Projektil, bestehend aus
Schrotkügelchen in einer zähflüssigen Masse, umhüllt von einem Kupfermantel mit
einer Plastikkappe. Wenn das Geschoss auf eine stark wasserhaltige Materie wie
beispielsweise Fleisch trifft, löst sich die Plastikkappe, die Kupferhülse wird
abgestreift, das Schrot verteilt sich rasch und überträgt die gesamte Wucht des
Projektils auf das umgebende Fleisch. Da die einzelnen Kügelchen klein und von
geringer Masse sind, geben sie ihre Energie rasch ab, so dass sie im Körper
stecken bleiben, daher der Name Sicherheitsgeschoss. Für Umstehende besteht
keine Gefährdung durch eine wieder austretende Kugel, und da sich das Sicherheitsprojektil
auch beim Aufprall auf harte Materie (wie etwa Schädelknochen...) auflöst, ist
das Risiko von Querschlägern ebenfalls minimal. Kein Entkommen möglich, dachte
ich, dieser Mörder hatte zu gut vorgebaut.
Dem Bericht des Pathologen zufolge war
das Geschoss zusammen mit Metall- und Holzfragmenten durch das rechte Auge des
Opfers eingedrungen. Der Autopsiebericht schilderte physiologisch-detailliert
die Gewebezerstörungen, die es angerichtet hatte. Trotz meiner bruchstückhaften
Anatomiekenntnisse verstand ich, dass der Tod augenblicklich und daher
schmerzlos eingetreten war. Die Maschinerie des Lebens hatte den Dienst
versagt, ehe
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