Drucke Zu Lebzeiten
bisweilen hohe Häuser ein- stürzen, ohne daß man einen äußeren Grund finden könnte. Ich klettere dann über die Schutthaufen und frage jeden, dem ich begegne: ‚Wie konnte das nur ge- schehn! In unserer Stadt – ein neues Haus – das ist heute schon das fünfte – bedenken Sie doch.' Da kann mir keiner antworten.
Oft fallen Menschen auf der Gasse und bleiben tot liegen. Da öffnen alle Geschäftsleute ihre mit Waren ver- hangenen Türen, kommen gelenkig herbei, schaffen den Toten in ein Haus, kommen dann, Lächeln um Mund und Augen, heraus und reden: ‚Guten Tag – der Himmel ist blaß – ich verkaufe viele Kopftücher – ja, der Krieg.' Ich hüpfe ins Haus und nachdem ich mehrere Male die Hand mit dem gebogenen Finger furchtsam gehoben ha- be, klopfe ich endlich an dem Fensterchen des Hausmei- sters. ‚Lieber Mann', sage ich freundlich, ‚es wurde ein toter Mensch zu Ihnen gebracht. Zeigen Sie mir ihn, ich bitte Sie.' Und als er den Kopf schüttelt, als wäre er unentschlossen, sage ich bestimmt: ‚Lieber Mann. Ich bin Geheimpolizist. Zeigen Sie mir gleich den Toten.' ,Einen Toten', fragt er jetzt und ist fast beleidigt. ‚Nein, wir haben keinen Toten hier. Es ist ein anständiges Haus.' Ich grüße und gehe.
Dann aber, wenn ich einen großen Platz zu durchque- ren habe, vergesse ich an alles. Die Schwierigkeit dieses Unternehmens verwirrt mich und ich denke oft bei mir: ,Wenn man so große Plätze nur aus Übermut baut, war- um baut man nicht auch ein Steingeländer, das durch den Platz führen könnte. Heute bläst ein Südwestwind. Die Luft auf dem Platz ist aufgeregt. Die Spitze des Rathausturmes beschreibt kleine Kreise. Warum macht man nicht Ruhe in dem Gedränge? Alle Fensterscheiben lärmen und die Laternenpfähle biegen sich wie Bambus. Der Mantel der heiligen Maria auf der Säule windet sich und die stürmische Luft reißt an ihm. Sieht es denn nie- mand? Die Herren und Damen, die auf den Steinen ge- hen sollten, schweben. Wenn der Wind Atem holt, blei- ben sie stehen, sagen einige Worte zueinander und ver- neigen sich grüßend, stößt aber der Wind wieder, kön- nen sie ihm nicht widerstehn und alle heben gleichzeitig ihre Füße. Zwar müssen sie fest ihre Hüte halten, aber ihre Augen schauen lustig, als wäre milde Witterung. Nur ich fürchte mich.'" –
Mißhandelt, wie ich war, sagte ich: „Die Geschichte, die Sie früher erzählt haben von Ihrer Frau Mutter und der Frau im Garten finde ich gar nicht merkwürdig. Nicht nur, daß ich viele derartige Geschichten gehört und erlebt habe, so habe ich sogar bei manchen mitge- wirkt. Diese Sache ist doch ganz natürlich. Meinen Sie, ich hätte, wenn ich am Balkon gewesen wäre, nicht das- selbe sagen können und aus dem Garten dasselbe ant- worten können? Ein so einfacher Vorfall."
Als ich das gesagt hatte, schien er sehr beglückt. Er sagte, daß ich hübsch gekleidet sei, und daß ihm meine Halsbinde sehr gefalle. Und was für eine feine Haut ich hätte. Und Geständnisse würden am klarsten, wenn man sie widerriefe.
Gespräch mit dem Betrunkenen
Als ich aus dem Haustor mit kleinern Schritte trat, wur- de ich von dem Himmel mit Mond und Sternen und großer Wölbung und von dem Ringplatz mit Rathaus, Mariensäule und Kirche überfallen.
Ich ging ruhig aus dem Schatten ins Mondlicht, knöpf- te den Überzieher auf und wärmte mich; dann ließ ich durch Erheben der Hände das Sausen der Nacht schwei- gen und fing zu überlegen an:
„Was ist es doch, daß Ihr tut, als wenn Ihr wirklich wäret. Wollt Ihr mich glauben machen, daß ich unwirk- lich bin, komisch auf dem grünen Pflaster stehend? Aber doch ist es schon lange her, daß du wirklich warst, du Himmel, und du Ringplatz bist niemals wirklich ge- wesen."
„Es ist ja wahr, noch immer seid Ihr mir überlegen, aber doch nur dann, wenn ich Euch in Ruhe lasse."
„Gott sei Dank, Mond, du bist nicht mehr Mond, aber vielleicht ist es nachlässig von mir, daß ich dich Mond- benannten noch immer Mond nenne. Warum bist du nicht mehr so übermütig, wenn ich dich nenne ‚Verges- sene Papierlaterne in merkwürdiger Farbe'. Und warum ziehst du dich fast zurück, wenn ich dich ‚Mariensäule' nenne und ich erkenne deine drohende Haltung nicht mehr Mariensäule, wenn ich dich nenne ‚Mond, der gel- bes Licht wirft'."
„Es scheint nun wirklich, daß es Euch nicht gut tut, wenn man über Euch nachdenkt; Ihr nehmt ab an Mut und
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