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Drucke Zu Lebzeiten

Drucke Zu Lebzeiten

Titel: Drucke Zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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mit seiner Spitze die Tür gerade erreicht zu haben. „Das ist die Schiffskapel- le", sagte der Heizer, „die haben oben gespielt und ge- hen jetzt einpacken. Jetzt ist alles fertig und wir können gehen. Kommen Sie!" Er faßte Karl bei der Hand, nahm noch im letzten Augenblick ein eingerahmtes Mutter- gottesbild von der Wand über dem Bett, stopfte es in seine Brusttasche, ergriff seinen Koffer und verließ mit Karl eilig die Kabine.
       „Jetzt gehe ich ins Bureau und werde den Herren meine Meinung sagen. Es ist kein Passagier mehr da, man muß keine Rücksicht nehmen." Dieses wiederholte der Heizer verschiedenartig und wollte im Gehen mit Seitwärtsstoßen des Fußes eine den Weg kreuzende Ratte niedertreten, stieß sie aber bloß schneller in das Loch hinein, das sie noch rechtzeitig erreicht hatte. Er war überhaupt langsam in seinen Bewegungen, denn wenn er auch lange Beine hatte, so waren sie doch zu schwer.
       Sie kamen durch eine Abteilung der Küche, wo einige Mädchen in schmutzigen Schürzen – sie begossen sie absichtlich – Geschirr in großen Bottichen reinigten. Der Heizer rief eine gewisse Line zu sich, legte den Arm um ihre Hüfte und führte sie, die sich immerzu kokett gegen seinen Arm drückte, ein Stückchen mit. „Es gibt jetzt Auszahlung, willst du mitkommen?" fragte er. „Warum soll ich mich bemühn, bring mir das Geld lie- ber her", antwortete sie, schlüpfte unter seinem Arm durch und lief davon. „Wo hast du denn den schönen Knaben aufgegabelt?" rief sie noch, wollte aber keine Antwort mehr. Man hörte das Lachen aller Mädchen, die ihre Arbeit unterbrochen hatten.
       Sie aber gingen weiter und kamen an eine Tür, die oben einen kleinen Vorgiebel hatte, der von kleinen, ver- goldeten Karyatiden getragen war. Für eine Schiffsein- richtung sah das recht verschwenderisch aus. Karl war, wie er merkte, niemals in diese Gegend gekommen, die wahrscheinlich während der Fahrt den Passagieren der ersten und zweiten Klasse vorbehalten gewesen war, während man jetzt vor der großen Schiffsreinigung die Trennungstüren ausgehoben hatte. Sie waren auch tat- sächlich schon einigen Männern begegnet, die Besen an der Schulter trugen und den Heizer gegrüßt hatten. Karl staunte über den großen Betrieb; in seinem Zwischen- deck hatte er davon freilich wenig erfahren. Entlang der Gänge zogen sich auch Drähte elektrischer Leitungen, und eine kleine Glocke hörte man immerfort.
       Der Heizer klopfte respektvoll an der Türe an und forderte, als man „herein" rief, Karl mit einer Handbe- wegung auf, ohne Furcht einzutreten. Dieser trat auch ein, aber blieb an der Tür stehen. Vor den drei Fenstern des Zimmers sah er die Wellen des Meeres, und bei Be- trachtung ihrer fröhlichen Bewegung schlug ihm das Herz, als hätte er nicht fünf lange Tage das Meer ununterbrochen gesehen. Große Schiffe kreuzten gegen- seitig ihre Wege und gaben dem Wellenschlag nur soweit nach, als es ihre Schwere erlaubte. Wenn man die Augen kleinmachte, schienen diese Schiffe vor lauter Schwere zu schwanken. Auf ihren Masten trugen sie schmale, aber lange Flaggen, die zwar durch die Fahrt gestrafft wurden, trotzdem aber noch hin und her zappelten. Wahrscheinlich von Kriegsschiffen her erklangen Salut- schüsse, die Kanonenrohre eines solchen nicht allzu- weit vorüberfahrenden Schiffes, strahlend mit dem Re- flex ihres Stahlmantels, waren wie gehätschelt von der sicheren, glatten und doch nicht wagrechten Fahrt. Die kleinen Schiffchen und Boote konnte man, wenigstens von der Tür aus, nur in der Ferne beobachten, wie sie in Mengen in die Öffnungen zwischen den großen Schiffen einliefen. Hinter alledem aber stand New York und sah Karl mit den hunderttausend Fenstern seiner Wol- kenkratzer an. Ja, in diesem Zimmer wußte man, wo man war.
      An einem runden Tisch saßen drei Herren, der eine ein Schiffsoffzier in blauer Schiffsuniform, die zwei an- deren, Beamte der Hafenbehörde, in schwarzen, ameri- kanischen Uniformen. Auf dem Tisch lagen, hochaufge- schichtet, verschiedene Dokumente, welche der Offzier zuerst mit der Feder in der Hand überflog, um sie dann den beiden anderen zu reichen, die bald lasen, bald ex- zerpierten, bald in ihre Aktentaschen einlegten, wenn nicht gerade der eine, der fast ununterbrochen ein klei- nes Geräusch mit den Zähnen vollführte, seinem Kolle- gen etwas in ein Protokoll diktierte.
      Am Fenster saß an einem Schreibtisch, den Rücken der Türe zugewendet, ein

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