Drucke Zu Lebzeiten
die einander immer wieder folgten, durch fortwährend abbiegende Korridore, durch ein lee- res Zimmer mit einem verlassenen Schreibtisch mühselig suchen, bis er sich tatsächlich, da er diesen Weg nur ein- oder zweimal und immer in größerer Gesellschaft ge- gangen war, ganz und gar verirrt hatte. In seiner Ratlo- sigkeit und da er keinen Menschen traf und nur immer- fort über sich das Scharren der tausend Menschenfüße hörte und von der Ferne, wie einen Hauch, das letzte Arbeiten der schon eingestellten Maschinen merkte, fing er, ohne zu überlegen, an eine beliebige kleine Tür zu schlagen an, bei der er in seinem Herumirren stockte.
„Es ist ja offen", rief es von innen, und Karl öffnete mit ehrlichem Aufatmen die Tür. „Warum schlagen Sie so verrückt auf die Tür?" fragte ein riesiger Mann, kaum daß er nach Karl hinsah. Durch irgendeine Oberlichtlu- ke fiel ein trübes, oben im Schiff längst abgebrauchtes Licht in die klägliche Kabine, in welcher ein Bett, ein Schrank, ein Sessel und der Mann knapp nebeneinander, wie eingelagert, standen. „Ich habe mich verirrt", sagte Karl, „ich habe es während der Fahrt gar nicht so be- merkt, aber es ist ein schrecklich großes Schiff." „Ja, da haben Sie recht", sagte der Mann mit einigem Stolz und hörte nicht auf, an dem Schloß eines kleinen Koffers zu hantieren, den er mit beiden Händen immer wieder zu- drückte, um das Einschnappen des Riegels zu behor- chen. „Aber kommen Sie doch herein!" sagte der Mann weiter, „Sie werden doch nicht draußen stehn!" „Störe ich nicht?" fragte Karl. „Ach, wie werden Sie denn stö- ren!" „Sind Sie ein Deutscher?" suchte sich Karl noch zu versichern, da er viel von den Gefahren gehört hatte, welche besonders von Irländern den Neuankömmlingen in Amerika drohen. „Bin ich, bin ich", sagte der Mann. Karl zögerte noch. Da faßte unversehens der Mann die Türklinke und schob mit der Türe, die er rasch schloß, Karl zu sich herein. „Ich kann es nicht leiden, wenn man mir vom Gang hereinschaut", sagte der Mann, der wie- der an seinem Koffer arbeitete, „da läuft jeder vorbei und schaut herein, das soll der Zehnte aushalten!" „Aber der Gang ist doch ganz leer", sagte Karl, der unbehag- lich an den Bettpfosten gequetscht dastand. „Ja jetzt", sagte der Mann. „Es handelt sich doch um jetzt", dachte Karl, „mit dem Mann ist schwer zu reden." „Legen Sie sich doch aufs Bett, da haben Sie mehr Platz", sagte der Mann. Karl kroch, so gut es ging, hinein und lachte dabei laut über den ersten vergeblichen Versuch, sich hinüberzuschwingen. Kaum war er aber im Bett, rief er: „Gotteswillen, ich habe ja ganz meinen Koffer verges- sen!" „Wo ist er denn?" „Oben auf dem Deck, ein Be- kannter gibt acht auf ihn. Wie heißt er nur?" Und er zog aus einer Geheimtasche, die ihm seine Mutter für die Reise im Rockfutter angelegt hatte, eine Visitkarte. „Butterbaum, Franz Butterbaum." „Haben Sie den Koffer sehr nötig?" „Natürlich." „Ja, warum haben Sie ihn dann einem fremden Menschen gegeben?" „Ich hat- te meinen Regenschirm unten vergessen und bin gelau- fen, ihn zu holen, wollte aber den Koffer nicht mit- schleppen. Dann habe ich mich auch noch verirrt." „Sie sind allein? Ohne Begleitung?" „Ja, allein." „Ich sollte mich vielleicht an diesen Mann halten", ging es Karl durch den Kopf, „wo finde ich gleich einen besseren Freund." „Und jetzt haben Sie auch noch den Koffer verloren. Vom Regenschirm rede ich gar nicht." Und der Mann setzte sich auf den Sessel, als habe Karls Sache jetzt einiges Interesse für ihn gewonnen. „Ich glaube aber, der Koffer ist noch nicht verloren." „Glauben macht selig", sagte der Mann und kratzte sich kräftig in seinem dunklen, kurzen, dichten Haar, „auf dem Schiff wechseln mit den Hafenplätzen auch die Sitten. In Ham- burg hätte Ihr Butterbaum den Koffer vielleicht be- wacht, hier ist höchstwahrscheinlich von beiden keine Spur mehr." „Da muß ich aber doch gleich hinauf- schaun", sagte Karl und sah sich um, wie er hinauskom- men könnte. „Bleiben Sie nur", sagte der Mann und stieß ihn mit einer Hand gegen die Brust, geradezu rauh, ins Bett zurück. „Warum denn?" fragte Karl ärgerlich. „Weil es keinen Sinn hat", sagte der Mann, „in einem kleinen Weilchen gehe ich auch, dann gehen wir zusam- men. Entweder ist der Koffer gestohlen, dann ist keine Hilfe, oder der Mann hat ihn stehen gelassen, dann wer- den wir ihn, bis das Schiff ganz entleert
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