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Drunter und Drüber

Titel: Drunter und Drüber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Andersen
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worden, ehe vom Holz-Raubbau die Rede gewesen war, und er sah bewundernd auf die kunstvoll ineinandergefügten Wandbretter, die Hartholzböden und die Tür- und Fensterrahmen aus dem Holz einheimischer Föhren. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit seiner auf der verblichenen Patchwork-Tagesdecke liegenden Tasche zu und zog einen Stapel weißer T-Shirts, Unterwäsche, Jeans, Rasierzeug und ein paar seiner kostbareren Werkzeuge daraus hervor.
    Als Letztes strichen seine Fingerspitzen über den am Boden der Tasche liegenden Stapel alter Briefe. Behutsam nahm er sie heraus und starrte auf den in Edwinas zittriger Handschrift adressierten obersten Umschlag.
    Er wusste überhaupt nicht, weshalb er ihre Briefe all die Jahre aufgehoben hatte. Bis auf die ersten hatte er sie bisher nicht einmal geöffnet, denn er ahnte, was in ihnen stand: nämlich, dass Edwina ihm verziehen hatte.
    Und zwar ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte, was wirklich verdammt großzügig von ihr gewesen war. Abermals erbost über dieses alte, ihm zugefügte Unrecht warf er das mit einem Gummiband zusammengehaltene Bündel in den neben dem Nachttisch stehenden Papierkorb und stürmte aus dem Zimmer.
    Eine Minute später jedoch war er zurück und fischte die Briefe wieder heraus. Ihm war zwar nicht klar, warum – er wäre nämlich ein wesentlich glücklicherer Mensch, wenn es ihm endlich gelänge, diesen Teil seines Lebens als den Ballast abzuwerfen, der er schließlich war. Aber irgendwie hing er selbst nach all diesen Jahren noch daran. Also beförderte er die Briefe zurück in die Tasche, verstaute sie im Schrank und schloss nachdrücklich die Tür.
    Leider hieß aus den Augen nicht automatisch aus dem Sinn. Er zog die goldene Uhr von Edwinas Vater aus der Tasche, strich vorsichtig mit dem Daumen über den mit einer Gravur verzierten Deckel, drückte auf das winzige Knöpfchen an der Seite, klappte den Deckel auf, betrachtete das Zifferblatt, und vor seinem geistigen Auge tauchten Szenen aus seinem früheren Leben auf. In dem Versuch, die unwillkommenen Erinnerungen endgültig zu verdrängen, klappte er den Deckel schnaubend wieder zu und schob die Uhr zurück in seine Jeans. Das erste Mal hatte er Edward Lawrences Uhr an dem Tag gesehen, als er von Edwina mit heimgenommen worden war. Die Uhr hatte auf einer ledergebundenen Kladde auf einem antiken Schreibtisch im Arbeitszimmer gelegen.
    Ein so wunderbares Stück hatte er nie zuvor gesehen. Er hatte gefunden, die Uhr sähe aus, als gehöre sie einem wirklich reichen Menschen, und das hatte ihm gefallen. Noch stärker jedoch war er vom Alter der Uhr angezogen worden – auch wenn er nicht hätte in Worte fassen können, was ihm daran so gefiel.
    Erst als Erwachsenem war ihm bewusst geworden, dass es die Beständigkeit gewesen war, die das Stück repräsentierte, die Tatsache, dass es sich über zwei Generationen hinweg im Besitz ein und derselben Familie befunden hatte, von der er derart beeindruckt gewesen war. Er selbst hatte seinen Vater nie gekannt, und für seine Mutter war der Konsum von Drogen weitaus wichtiger gewesen als der eigene Sohn, so dass er allein von der Vorstellung einer Familie, die ihre Kinder nicht nur versorgte, sondern obendrein noch Dinge aus den Leben der einzelnen Personen extra für sie aufhob, regelrecht überwältigt worden war. Vor seinem Einzug bei Edwina hatte er nie auch nur einen einzigen Gegenstand besessen, und schon gar nichts, was ihm von einem seiner Ahnen hinterlassen worden war.
    Edwina hatte das geändert und während einiger Monate hatte er das Gefühl gehabt, als lebe er in einem Traum. Sie hatte ihn behandelt, wie man seiner Vorstellung nach eigene Kinder behandelte. Weshalb ihn der Verrat am Ende umso schmerzlicher getroffen hatte, als plötzlich Edwards Uhr verschwunden und er von ihr beinahe des Diebstahls bezichtigt worden war. Das hatte er ihr nicht verziehen, und – so lächerlich es in den Augen anderer vielleicht war — der Geist dieser Empörung lebte wie atomarer Abfall mit einer endlosen Halbwertszeit in seinem Innern fort.
    Falls es also eines gab, was er ganz sicher wusste, dann, dass die Lawrences, auch wenn sie sich wie anständige Menschen gaben, ihren Anspruch auf ein wertvolles Besitztum, wie damals die Uhr und jetzt dieses Hotel, ganz sicher nicht so frohen Herzens aufgaben, wie sie ihn glauben machen wollten. Er stapfte aus der Hütte, schlug die Tür hinter sich zu und marschierte über den Pfad zurück in Richtung des

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