Du oder das ganze Leben
Latino-Hengst wie mir nicht widerstehen können.«
»Schön für dich«, grummle ich.
» Mamá hat gesagt, ich soll diesen Wasserkrug hier über dir auskippen, wenn du nicht aufstehst.«
Ist der Wunsch nach ein bisschen Privatsphäre etwa zuviel
verlangt? Ich nehme mein Kopfkissen und schleudere es quer durch den Raum. Volltreffer! Das Wasser durchnässt ihn von oben bis unten.
» Culero !«, kreischt er mich an. »Das waren die einzigen neuen Klamotten, die ich hatte.«
Eine Lachsalve ertönt von der Schlafzimmertür, Carlos, mein anderer Bruder, bellt wie eine verdammte Hyäne. Zumindest so lange, bis Luis ihn anspringt. Ich beobachte, wie der Kampf allmählich außer Kontrolle gerät, während meine kleinen Brüder sich gegenseitig schlagen und treten.
Sie kämpfen nicht schlecht, denke ich stolz und sehe ihnen dabei zu, wie sie ihre Prügelei austragen. Doch als ältester Mann im Haus ist es meine Pflicht, die Streithähne zu trennen. Ich packe Carlos am Kragen, stolpere aber gleichzeitig über Luis’ Bein und gehe mit den beiden zu Boden.
Bevor ich mich wieder aufrappeln kann, ergießt sich ein Schwall eiskalten Wassers über meinen Rücken. Eine blitzschnelle Drehung verrät mir, dass mi’amá uns alle durchtränkt hat – ihre ausgestreckte Faust hält noch immer den Eimer über uns. Sie trägt bereits ihre Arbeitsuniform. Mamá arbeitet als Verkäuferin in einem Supermarkt, ein paar Blocks von hier. Man verdient sich keine goldene Nase damit, aber wir brauchen auch nicht viel.
»Steht auf«, befiehlt sie uns wutschnaubend.
»Scheiße, Ma«, sagt Carlos, der schon wieder steht.
Mi’amá steckt ihren Finger in die eiskalte Pfütze, die noch in dem Eimer ist und schnippst etwas Wasser in Carlos’ Gesicht.
Luis lacht und bevor er weiß, wie ihm geschieht, bekommt auch er etwas Eiswasser ab. Werden sie es denn nie lernen?
»Willst du dich weiter danebenbenehmen, Luis?«, fragt mamá .
»Nein, Ma’am«, erwidert Luis und steht stramm wie ein kleiner Soldat.
»Und was ist mit dir, Carlos? Möchtest du noch mehr schmutzige Wörter loswerden?« Sie tippt zur Warnung mit ihrer Hand in das Eiswasser.
»Nein Ma’am«, entgegnet auch Soldat Nummer zwei.
»Und du, Alejandro?« Ihre Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, als sie ihre Aufmerksamkeit auf mich konzentriert.
»Was? Ich habe versucht, das Ganze zu beenden«, sage ich, als sei ich mir keiner Schuld bewusst, und schenke ihr mein unwiderstehlichstes Lächeln.
Sie schnippst auch in mein Gesicht etwas Wasser. »Das ist dafür, dass du nicht früher eingegriffen hast. Jetzt zieht euch an, alle miteinander, und frühstückt noch schnell, bevor ihr in die Schule müsst.«
Soviel zu meinem unwiderstehlichen Lächeln. »Du weißt, du liebst uns«, rufe ich ihr hinterher, als sie aus dem Zimmer geht.
Nach einem kurzen Sprung unter die Dusche kehre ich mit einem Handtuch um die Hüften in unser Schlafzimmer zurück und erwische Luis mit einem meiner Bandanas auf dem Kopf. Meine Kehle schnürt sich zu, ich reiße ihm das Teil vom Schädel. »Lass ja die Hände davon, Luis.«
»Warum?«, fragt er mich mit weit aufgerissenen braunen Unschuldsaugen.
Für Luis ist es nur ein Kopftuch. Für mich ist es ein Symbol all dessen, was ich bin – oder noch schlimmer, was ich nie sein werde. Doch wie um alles in der Welt soll ich das einem Elfjährigen erklären? Es ist kein Geheimnis, dass mein Bandana die Erkennungsfarben der Latino Blood ziert. Offene Rechnungen und das Verlangen nach Rache haben mich zu einem Gangmitglied werden lassen und jetzt gibt es kein zurück. Aber bevor ich zulasse, dass meine Brüder in die Sache reingezogen werden, sterbe ich lieber.
Ich knülle das Bandana in meiner Faust zusammen. »Luis, lass einfach mein Zeug in Ruhe. Vor allem meine Latino-Blood-Sachen.«
»Ich mag Rot und Schwarz.«
Das ist das Letzte, was ich in diesem Moment hören will. »Wenn ich dich noch mal damit erwische, wird deine Haut in den Trendfarben Grün und Blau schillern«, lasse ich ihn wissen. »Kapiert, kleiner Bruder?«
Er zuckt mit den Schultern. »Ja klar, schon kapiert.«
Während er den Raum mit federnden Schritten verlässt, frage ich mich, ob er es tatsächlich gecheckt hat. Aber ich versuche, nicht zu sehr darüber nachzugrübeln, greife mir ein schwarzes T-Shirt aus der Kommode und schlüpfe in meine abgetragene, verwaschene Jeans. Ich binde mir gerade das Bandana um den Kopf, als ich die erzürnte Stimme meiner mamá aus der Küche
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