Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Hotel. Zuhair war ein väterlich wirkender, großer, schlanker Mann. Von Beruf war er Reiseführer. Seit sechs Monaten war dies sein erster Auftrag, wie er ohne Selbstmitleid erzählte. Er gab sich große Mühe, Haltung zu bewahren. Sein Anblick tat fast weh. Wie sollte dieser Mann in den Wirren des Krieges seine Familie ernähren?
Zuhair glaubte, ich wolle in den Libanon oder nach Palmyra, die beliebte antike Oasenstadt. Doch ich fragte ihn, ob er uns in das etwas gefährlichere Hama fahren könne. Er nickte. Er stamme aus Hama. Die Stadt sei im Augenblick relativ ruhig. Anders als Homs. Dort gebe es Kämpfe. Wir einigten uns und stiegen in seinen Minibus ein.
Ich informierte niemanden über unsere Reisepläne. Auch Zuhair versprach zu schweigen. Die Leute vom Geheimdienst, die regelmäßig nachmittags bei der Rezeption unseres Hotels nachfragten, wo ich mich herumtriebe, würden als Antwort – wie meist – nur ein Achselzucken bekommen. Vielleicht sei ich auf dem Weg nach Beirut, vielleicht aber auch zu irgendeiner touristischen Sehenswürdigkeit wie Palmyra oder Maaloula. Bei mir wisse man nie genau, was ich gerade machte. Der Geheimdienst war diese Antworten inzwischen gewöhnt. Wahrscheinlich wusste er auch von Salem, dass ich in Ruhe gelassen werden wollte. Und die Regierung wollte nach dem Zwischenfall am Flughafen wohl keine weiteren Probleme mit mir. Salem war ein kluger Mann.
Auf einer vierspurigen Schnellstraße ging es zügig Richtung Hama. Einige Kilometer vor der Stadt wiesen große grüne Verkehrsschilder auf eine Abzweigung nach Homs hin. Ich fragte Zuhair, wie lange man von hier ins umkämpfte Homs brauche. »Zwanzig Minuten«, antwortete er. Ob er bereit sei, uns dorthin zu fahren, wollte ich wissen. »Wenn Sie es wünschen, gerne«, gab er zurück. Wenn man seit sechs Monaten ohne Arbeit ist, sagt man nicht mehr häufig Nein. »Also auf nach Homs!«, nickte ich. Ich schaute Julia an, mit der ich ebenfalls nur über Hama gesprochen hatte. Auch sie blieb ganz ruhig. Sie hatte offenbar Vertrauen zu Zuhair, der die Gegend kannte – und offenbar noch immer zu mir.
Ich hatte mir schon bei der Abfahrt vorgenommen, wenn möglich nach Homs zu fahren. Aber ich wollte keine langen Diskussionen. Ich wollte die Entscheidung von den konkreten Umständen vor Ort und vom Rat Zuhairs abhängig machen.
Gespannt warte ich auf die ersten Straßensperren. Doch es gibt keine. Wieder einmal ist alles anders als in den arabischen und westlichen Medien berichtet. Homs ist nicht total abgeriegelt, wie Al-Dschasira täglich kriegstreiberisch vermeldet. Nur ein Militärpolizist regelt am Stadteingang, nahe dem Universitätsviertel, den Verkehr. Obwohl ganz in der Nähe der schwer umkämpfte Stadtteil Baba Amr liegt. Weder Checkpoints noch Panzer behindern die Fahrt ins Zentrum. Julia ist sprachlos. Und filmt. Bilder, die man uns wieder nicht glauben wird. Aber vielleicht habe ja der Geheimdienst meinetwegen wieder alle Panzer abziehen lassen, meint sie ironisch.
Homs, einst bewundertes Vorbild friedlich-freundschaftlichen Miteinanders von Sunniten, Alawiten, Schiiten und Christen, ist zwar seit Monaten Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen. Doch die Kämpfe finden in jenen Wochen meist nur in einzelnen Vierteln statt. Im Stadtzentrum Al-Hamidiye etwa erinnern Schutzwälle aus Sandsäcken an Straßenkreuzungen und öffentlichen Gebäuden daran, dass hier Gefechte stattgefunden haben.
Wir gehen in den Souk Al-Hal im Stadtteil Al-Kussur. Alle Geschäfte sind offen. Viele Menschen grüßen uns herzlich. Junge Leute laden uns in einen Hinterhof ein. Es gibt Tee. Die Jungs sind vorsichtig. Sie wollen nicht gefilmt werden. Sie erzählen von zwei gefährlichen westlichen Spionen, die für die syrische Regierung tätig seien.
Wer hat bloß diese Geschichte in die Welt gesetzt? Auch ein hoher westlicher Diplomat in Damaskus hatte sie uns erzählt. Er hatte wörtlich berichtet, die Bewohner von Homs pflegten derartigen Spionen Nase und Ohren abzuschneiden. Julia fasst sich mehrfach an ihre Nase. Sie fühlt sich in dem engen Hinterhof unwohl. Sie will raus. Mit Nase und Ohren. Wir verabschieden uns.
Auf dem Wochenmarkt, wo es von Fleisch, Gemüse, Obst bis zu Kleidung alles zu kaufen gibt, erwerbe ich drei Bananen. Der schnauzbärtige Verkäufer schenkt mir eine Tüte Mandarinen dazu. »Danke, dass Sie gekommen sind. Hier kommt niemand mehr her.«
In einem nahe gelegenen Teehaus spielen alte Männer Backgammon. In einer
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