Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
wieder da. Es ist schwer, sich der rauschartigen Stimmung zu entziehen, die die Reportage verbreitet.
Unsere Jungs haben das Material, aber sie wollen es nicht herausgeben. »Zu gefährlich«, sagt Hamid, dessen Vater getötet wurde. Dann könne er sich gleich erschießen. Ich dränge nicht. Er soll unseretwegen keine Probleme bekommen. Vielleicht hat er ja auch die Räuberpistole von den zwei westlichen Geheimagenten gehört. Julia fasst sich sorgenvoll an die Nase. Unverrichteter Dinge ziehen wir ab.
Draußen in der Gasse kommen uns Jugendliche entgegen, die sich laut unterhalten. Als sie auf unserer Höhe sind, sagen sie leise auf Arabisch: »Assad sift, Assad erhal – Assad ist schlecht, Assad, verschwinde.«
Schließlich treffen wir unseren etwas entmutigten, aber dennoch Haltung bewahrenden Fahrer Zuhair. Er beschwert sich nicht, dass wir eine Stunde verspätet sind. Wir fahren wieder an den großen alten Wasserrädern vorbei, atmen noch einmal den herben Geruch des ausgetrockneten Flusses ein. »Damaskus?«, fragt Zuhair hoffnungsvoll. »Homs«, erwidere ich. Zuhair nickt ergeben. Es ist 1 Uhr mittags.
Wieder gibt es vor Homs keine Straßensperren, keine Kontrollen. In einem Café im Stadtteil Al-Mahatta diskutieren wir mit jungen Christen. Auch sie demonstrieren regelmäßig für Demokratie. Aber sie sind nicht mehr sicher, ob es darum noch geht. Nicht nur die staatlichen Sicherheitskräfte seien brutal, auch die bewaffneten Rebellen seien inzwischen gnadenlos. Sie würden von Katar und Saudi-Arabien großzügig bezahlt und übernähmen zunehmend deren politische Ziele. Sie töteten auch Zivilisten. Vor allem Alawiten, aber auch Christen. Fast jeder in Homs kenne schreckliche Fälle.
Die friedlichen Demonstranten der ersten Tage sitzen zwischen allen Stühlen. Dem Staat sind sie zu aufsässig, den bewaffneten Rebellen nicht entschlossen und hart genug. Man habe ihnen die Revolution gestohlen, sagen sie. Es ist ein langes, nachdenkliches Gespräch. Nur gestört von den heulenden Sirenen der im Hintergrund immer häufiger vorbeifahrenden Krankenwagen.
Von der Straße aus gibt uns Zuhair erregte Zeichen. Die Lage sei kritisch, ruft er uns zu. Wir müssten schnell raus. Ich blicke mich um. Noch immer sehe ich auf der Straße Passanten, wenn auch nicht mehr viele.
Ich möchte noch in die nahe gelegene Al-Atassi-Moschee, um Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Was ist das für eine Revolution, in der ein Teil der Bevölkerung den Staatschef wütend ablehnt, während der andere Teil ihn angeblich verehrt? Was wird in Syrien gespielt?
Zuhair wird ungeduldig. Busse mit Soldaten und Schützenpanzer der Polizei fahren vorbei. Ich signalisiere ihm, dass wir spätestens in einer halben Stunde abfahren würden. Ich will mich nach den Passanten und den Ladenbesitzern richten. Solange die sich keine Sorgen machen, müssen wir das auch nicht.
Zuhair sieht das skeptischer. Er fährt nun im Schritttempo direkt neben uns her. An der Moschee angekommen, bemerke ich, dass wie auf ein geheimes Kommando ein Geschäft nach dem anderen seine eisernen Rollläden herunterlässt. Die Fußgänger sind plötzlich verschwunden. »High noon« – wie in einem Wildwestfilm.
Zuhair ruft uns zu: »Bitte sofort einsteigen. In Baba Amr finden schwere Kämpfe statt. Auch hier kann es jederzeit losgehen.« Fast flehentlich lässt er den Motor aufheulen. Baba Amr ist nur drei Kilometer entfernt. Erneut fahren Busse mit Soldaten an uns vorbei. Richtung Baba Amr. Ich will das Schicksal nicht wieder herausfordern, wir steigen ein. Mit Vollgas braust Zuhair los.
Atemlos berichtet er, dass Al-Dschasira, Al-Arabiya und CNN seit heute morgen über heftige Kämpfe in Baba Amr, aber auch in Azzara und in der 60. Straße berichten. Es handle sich um die schwersten Kämpfe seit Langem. Doch warum hat Zuhair uns erst nachmittags darüber informiert? Wollte er seinen ersten Job nach so langer Zeit nicht gefährden? Und warum haben wir die Schießereien in Baba Amr nicht gehört?
Kurz nach Sonnenuntergang sind wir in Damaskus. Über 100 Tote hat es heute in Homs gegeben. Wenige Kilometer von uns entfernt. Zivilisten, Rebellen und Soldaten. Und dennoch war das Leben in 90 Prozent der Stadt wie üblich weitergegangen.
Einige Tage später sichte ich zusammen mit Nadim, einem Bekannten aus Homs, Filmmaterial über die Kämpfe jenes Tages. Nadim kennt einige der Kämpfer, die an den Gefechten teilgenommen haben.
Ein Film zeigt zwei Soldaten, die hinter
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