Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
eine Wohnsiedlung. Bis dahin müssen wir kommen. Es knallt und kracht fortdauernd. Tuma ist fahl im Gesicht.
Endlich können wir mit quietschenden Reifen in die Wohnsiedlung abbiegen und anhalten. Noch immer ist der Lärm der Gewehrsalven zu hören. Doch wir haben es geschafft – falls die Rebellen dort bleiben, wo sie sind.
Ich habe zu Tuma fast unbegrenztes Vertrauen. Dass er so einfach in ein Kreuzfeuer fahren würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. »Warum sind Sie da reingefahren? Das war doch lebensgefährlich«, frage ich ihn atemlos. Im Hintergrund fallen weiter Schüsse. Verlegen schaut mich der stets so zuverlässige Tuma an. »Auf einem Ohr höre ich nichts mehr. Seit eine Granate neben mir explodiert ist.« Schweigend fahren wir nach Damaskus zurück.
Der Informations-GAU
Am nächsten Tag rief mich Tuma völlig aufgelöst an. Er weinte. Ein Kleinbus mit 13 unbewaffneten jungen Alawiten war auf der Rückfahrt in ihr Dorf von Rebellen gestoppt worden. Nachdem sie festgestellt hatten, dass alle Insassen Alawiten waren, wurde einer nach dem anderen durch Kopfschuss hingerichtet. Anschließend filmten die Rebellen ihre getöteten Opfer. Einen der Getöteten kannte Tuma persönlich.
Nur ein Junge überlebte. Er hatte sich tot gestellt. Er konnte den Verlauf des Überfalls genau beschreiben. Abends meldeten die Rebellen, das Massaker sei von den Schergen Assads verübt worden.
Dieser Fall war keine Ausnahme in dem von beiden Seiten kompromisslos und brutal geführten Bürgerkrieg. Die Einseitigkeit, mit der westliche Politiker und manche Medien das gegenseitige Morden beschrieben, wurde und wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Wenn ich abends die internationalen Online-Medien überflog, war es, als läse ich Erzählungen von einem fremden Stern. Mindestens die Hälfte der Meldungen über Syrien war falsch oder irreführend.
Bei manchen Politikern wunderte mich das nicht. Sie vertraten strategische Interessen. Bei unseren Medien erstaunte es mich. Weil ich an ihr Ethos, ihre Wahrheitsliebe glaube. Sie ist ihre wichtigste Legitimation. Über zwei Jahrzehnte lang habe ich in dieser Branche gearbeitet. Und großartige, gewissenhafte Journalisten kennengelernt. Dass sie sich nach dem Lügendesaster des Irakkriegs noch einmal so täuschen lassen würden, hätte ich nicht für möglich gehalten.
Allerdings können sich viele Zeitungen heute keine Auslandskorrespondenten mehr leisten. Und die wenigen Auslandskorrespondenten, die es noch gibt, müssen meist mehrere Länder betreuen.
Mehrfach hatte ich Einzelmeldungen, die durch die Weltmedien geisterten, vor Ortüberprüft. Nicht nur den Fall der fünf Toten von Homs, die es glücklicherweise nicht gab. Oder den Fall der zwölf jungen exekutierten Alawiten, die es leider gab.
Auch ganz banale Meldungen waren falsch oder grotesk übertrieben. Einmal war nach westlichen Medienberichten mitten in Damaskus das Hauptquartier der Baath-Partei durch Granaten »mutiger Rebellen« schwer beschädigt worden. Der Vorplatz war daraufhin angeblich von Polizei und Militär hermetisch abgeriegelt worden.
Trotz der Warnung von Freunden fuhr ich zum Ort des Geschehens. Wieder rieb ich mir verwundert die Augen. Der Kreisverkehr vor dem Parteigebäude war lebhaft wie immer. Vor dem Haus standen zwei freundliche Polizisten mit ihrem geparkten Motorrad. Ich fragte, wo die schweren Beschädigungen seien. Sie zeigten auf den Eingangsbereich. Dort wurden gerade Glasscheiben ausgewechselt.
Ungehindert konnte ich das Gebäude betreten. Mitarbeiter berichteten mir, dass die Täter aus einem vorbeifahrenden Auto eine »Lärmbombe« auf die Parteizentrale geworfen hätten. Der Schaden? Zwei zersplitterte Glasscheiben. Zwei Tage lang hatten Medien weltweit über diesen »kühnen« Anschlag auf das Zentrum der Macht im Herzen vom Damaskus berichtet.
Ein weiteres banales Beispiel: Während meiner Anwesenheit berichtete Al-Dschasira mehrfach von Großdemonstrationen auf bestimmten Straßen von Damaskus. Doch wenn wir hinfuhren, war weit und breit alles ruhig. Die Inhaber von Geschäften erzählten uns, sie hätten die Fernsehberichte ebenfalls gesehen und seien vorsichtig auf die Straße gegangen. Auch sie hätten nichts entdecken können. Nur bei meiner abendlichen Online-Medienlektüre fand ich die angeblichen Demonstrationen wieder. In arabischen und westlichen Medien.
Zahllos sind die falschen und gefälschten Youtube-Videos, die über westliche Bildschirme flatterten und
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