Blutbahn - Palzkis sechster Fall
1
Teufeleien
Es hätte so ein schöner Tag werden können.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte
ich nach oben. Verdammt, was war das? Mein Puls erhöhte sich rekordverdächtig von
80 auf beinahe 200 Schläge. Die Szene, die sich gerade vor mir abspielte, verstand
ich nicht einmal ansatzweise. War ich in der Hölle angekommen, und wenn ja, warum?
Das grelle Licht blendete mich, ich konnte nur die Umrisse des Satans erkennen.
Seine schrecklich verzerrte Stimme ließ mir einen kalten Schauder über den Rücken
laufen. Ich versuchte mich aufzusetzen, was mein Gleichgewichtssinn mit einem heftigen
Schwindel beantwortete. Warum lag ich überhaupt hier? Wo war ich? Eine zweite teuflische
Gestalt kam in mein Blickfeld. Sie schien etwas größer zu sein und ihre ebenfalls
verzerrte Stimme klang noch angsteinflößender. Beide redeten gleichzeitig auf mich
ein, ich konnte nicht einmal ausmachen, um welche Sprache es sich handelte, geschweige
denn, ob sie irdischer Natur war. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das helle
Licht und auf einmal erkannte ich, wo ich mich befand. Sah so das Ende aus? Aus
statistischer Sicht starben die meisten Menschen zuhause in ihrem Bett und genau
da lag ich auch. Seltsam, dass mich der Höllenchef persönlich im eigenen Schlafzimmer
begrüßte. Mein Adrenalinspiegel, der das Maximum erreicht hatte, behinderte nach
wie vor mein Denkvermögen. Erfreulicherweise konnte ich nun aus einiger Entfernung
eine weibliche Stimme vernehmen, die in deutscher Sprache rief: »Paul, Melanie!
Ich habe zwar gesagt, dass Ihr euren Vater wecken sollt, aber nicht auf diese Art
und Weise!«
Die beiden Teufel fingen an zu lachen.
Paul, mein achtjähriger Sohn, zog seine Maske ab und sprang mit einem Hechtsprung
zu mir ins Bett. »Papa, schau mal, was Mama uns Geiles gekauft hat!«
»Paul!«, hörte ich Stefanies Stimme
aus dem Off. »Lass bitte diese Ausdrücke sein.«
Während die drei Jahre ältere Melanie
das Schlafzimmer wieder verlassen hatte, kuschelte sich der zum Mensch gewordene
Teufel unter mein Federbett.
»Da, Papa«, forderte er meine Aufmerksamkeit,
indem er mir einen kleinen Kasten, etwa so groß wie eine Streichholzschachtel, zeigte.
»Das ist ein Stimmenverzerrer. Meine Lehrer werden sich nächste Woche ganz schön
wundern.« Er steckte den Kasten ein Stück weit in den Mund und ich hörte wieder
die außerirdisch klingenden Töne.
»Wo habt ihr das her? Gestern Abend
hattet ihr das noch nicht!«
Ich bemerkte, dass meine Frau im
Türrahmen stand.
»Dann schau mal auf die Uhr, du
Langschläfer!« Sie klang belustigt. »Komm zum Frühstück, sonst wird der Kaffee kalt.«
Ein Blick auf den Wecker offenbarte
mir die in Bälde einbrechende Mittagszeit. »Ihr spielt mir doch einen Streich! Ihr
habt die Uhr vorgestellt, stimmt’s?«
»Reiner, ich war mit den Kindern
mehr als zwei Stunden lang einkaufen. Ich hatte gar nicht in Erinnerung, dass du
so ein Faultier bist.«
Wie wahr. Stefanie lebte mit den
Kindern seit über zwei Jahren von mir getrennt. Jetzt endlich wollten wir einen
Neuanfang wagen. Es war Anfang Februar, die Kinder hatten gerade ihre Halbjahreszeugnisse
bekommen, also ein guter Zeitpunkt, um die Schule zu wechseln. Seit Tagen fuhr ich
abends nach Dienstschluss mit meinem Kollegen Gerhard Steinbeißer nach Ludwigshafen,
um Stefanies Hausrat nach Schifferstadt zu transportieren. Gestern waren Waschmaschine
und Wäschetrockner an der Reihe. Nach diesem Kraftakt, man war ja schließlich nicht
mehr der Jüngste, gingen wir noch auf ein Pils in die Kanne, einem alten Schifferstadter
Gasthaus mit angeschlossenem Hotel. Bei einem Pils blieb es nicht, aber an einem
Freitagabend störte mich das nicht sonderlich.
Am heutigen Samstag waren die Kinderzimmer
an der Reihe. Auch diesmal hatte sich Gerhard bereiterklärt, mir zu helfen. Da er
mal wieder eine kurze Solozeit zu überbrücken hatte, machte es ihm nichts aus. Gerhard
genoss sein Leben und gestaltete es sehr abwechslungsreich. Ich selbst war wesentlich
konservativer eingestellt, ich liebte meine Frau nach wie vor wie am ersten Tag.
Und seit ich wusste, dass unsere Familie nochmals Nachwuchs bekommen würde, noch
viel mehr. In drei Monaten war es soweit, Stefanie schob bereits ein kleines Bäuchlein
durch die Gegend. Mein Heimbüro hatte ich längst ausgeräumt und mit einer Benjamin-Blümchen-Tapete
tapeziert. Stefanie rümpfte darüber zwar die Nase, sagte aber nichts. Ich war mir
sicher, hätte ich eine Star-Wars-Tapete
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