Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
wolle.
Vor allem aber, weil er für Toleranz zwischen den Religionen stehe. Für Assad seien Christen genauso viel wert wie Alawiten oder Sunniten. In keinem arabischen Land seien die Christen geschützter und angesehener gewesen als in Syrien.
Religion und Politik müssten getrennt sein. Deshalb müsste eigentlich auch die CDU Deutschlands, wenn sie konsequent wäre, das C aus ihrem Namen nehmen. Er habe große Sorgen, dass es in Syrien zu einem Religionskrieg kommen werde. Anders als Wirtschaftskriege könnten Religionskriege 100 Jahre dauern. Christen werde es in Syrien dann keine mehr geben. Dass der christliche Westen diese Gefahren nicht sehe, mache ihn krank.
Er habe – teilweise zusammen mit dem christlichen Patriarchen – mehrfach deutsche Abgeordnete angeschrieben, nach Syrien zu kommen. Sie könnten überall hinreisen und sich ungehindert ein eigenes Bild von der Lage verschaffen. Er habe nicht einmal eine Antwort bekommen. Der Westen wolle die Wahrheit über Syrien gar nicht wissen.
Zur Freitagsdemo nach Homs
Am Donnerstagmittag fuhr ich wieder nach Homs. Julia nahm ich diesmal nicht mit. Sie hatte schon genug mitgemacht. Mein Dolmetscher und Fahrer war Tuma, ein perfekt englisch sprechender Architekt aus Homs. Er hatte dort viele Freunde. Alawiten, Sunniten, Christen – Assad-Gegner und Assad-Freunde. Früher hatte er in Homs ein Büro mit acht Mitarbeitern. Inzwischen hat er es schließen müssen. Fünf seiner Mitarbeiter waren nun Rebellen. Sie hielten trotzdem noch immer zu ihm und gaben ihm oft wichtige Hinweise. Er selbst gehört der gemäßigten Opposition an.
Wieder war der Zugang zur Stadt frei. Keine Checkpoints, keine Panzer. Die Straßen waren leer, wie in einer Geisterstadt. An manchen Häusern sahen wir Einschusslöcher von Artilleriegeschossen.
Zuerst brachte mich Tuma zu einer sunnitischen Familie. Der 40-jährige Familienvater, ein Arzt, war engagierter Anhänger Assads. Er pflegte das freimütig zu bekennen. Auch gegenüber Assad-Feinden. Wohl zu offen. Von einem benachbarten Hochhaus aus hatten Scharfschützen vor einigen Tagen das Zimmer seiner dreijährigen Tochter beschossen. Er zeigte mir die Einschusslöcher im Fenster des Kinderzimmers. Direkt neben dem Kopf des Teddybären seiner Tochter.
Anschließend fuhr mich Tuma durch das bereits dämmernde Homs zu einem 50-jährigen Ingenieur, einem der einflussreichsten Helfer der Aufständischen. Das Auffälligste an dem korpulenten Mann mit dem kurz geschnittenen, silbernen Haar waren seine kleinen, listigen Augen.
Stolz berichtete er, wie eng die Rebellen mit Al-Dschasira vernetzt seien. In Homs gebe es vier Satellitenstationen, über die man jede Nachricht direkt zur Sendezentrale des katarischen Nachrichtensenders übermitteln könne. In seinem Wohnzimmer standen mehrere TV -Geräte, über die er gleichzeitig Al-Dschasira, Al-Arabiya und CNN empfangen konnte. Gerade berichtete Al-Dschasira über eine nur 200 Meter von seinem Haus entfernt stattfindende Demonstration. Wie groß die Demo sei, fragte ich: »Nur 50 Mann, alles Freunde, aber das sieht man im Fernsehen nicht«, feixte er.
Ich erkundigte mich, wie kürzlich in der Weltpresse die Nachricht aufkommen konnte, in Homs finde eine humanitäre Katastrophe statt. Es gebe kaum noch zu essen und zu trinken und nur noch gelegentlich Strom. Zum Zeitpunkt dieser Meldung sei ich in Homs gewesen. Die Stände des Wochenmarktes seien mit Lebensmitteln prall gefüllt gewesen.
Der Rebellenfreund mit den guten Beziehungen zu Al-Dschasira schaut mich stolz, fast begeistert an. »Habe ich das nicht gut gemacht? Ich habe diese Meldung gestreut. Sie ist weltweit gelaufen. Anschließend sind ein Dutzend Lastwagen gekommen, um uns aus der ›humanitären Katastrophe‹ herauszuhelfen. Einen haben wir uns geschnappt. Die anderen haben wir zurückgeschickt.«
Am nächsten Morgen will er mich zu zwei Demonstrationen bringen. Sofort nach dem Freitagsgebet. »Normalerweise wird alles gut gehen. Wenn der Geheimdienst schießt, werfen Sie sich einfach zu Boden und stellen sich tot. Dann schießen sie auf andere.« Wie beruhigend, denke ich. Überschwänglich und konspirativ verabschiedet er sich von uns. Dass ich zu den Demos will, gefällt ihm. Ein Deutscher bei einer Anti-Assad-Demo – das ist gut.
Spätabends fährt mich Tuma zum Al-Safir-Hotel. Die Fünf-Sterne-Unterkunft ist dunkel. Warum soll man auch Licht einschalten, wenn es keine Gäste gibt? Tuma murmelt: »Zehn Minuten, nachdem
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