Duestere Verlockung
Mitarbeiterin mit dem Lockenkopf folgt seiner Bewegung fast synchron, als hätte sie das vorher einstudiert. Wieder eine Absage. So langsam würde ich mich wohl mit dem Gedanken anfreunden müssen, zurück nach England zu gehen und meinen Traum von New York und der großen Karriere in den USA aufzugeben.
Ich blicke auf meine Armbanduhr. Fast fünf Uhr nachmittags. Die Jobmesse endet um sechs Uhr und die meisten Unternehmen hörten bereits um fünf auf, Bewerber zu interviewen. Ich nestle den Event-Plan der Messe aus der Seitentasche meiner schicken Stoffhose. Die einzigen Events, die um fünf Uhr starten, sind Reden von Unternehmensführern. „Die zehn Schritte zum Erfolg in der Finanzbranche“, „Das persönliche Interview: Wie man sich erfolgreich bei Unternehmen vorstellt“ und „Der Schritt in die Selbstständigkeit- Wie man ein eigenes Unternehmen gründet“. Niedergeschlagen wandert mein Blick auf dem Papier umher. Ich wünschte, es gäbe eine Rede, die einem Schritt für Schritt erklärt, wie man als Ausländer eine reale Chance auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt bekommt und nicht gleich abgelehnt wird. „Die drei Schritte zum garantierten Arbeitsvisum- Selbst für Engländer“ oder so etwas. Keine der Reden, die angeboten werden, würden mir wirklich weiterhelfen. Weder hatte ich vor, in der Finanzbranche Fuß fassen, noch wollte ich zum hundertsten Mal Interviewtipps erhalten, die mir sowieso nicht weiterhelfen würden. Über eine mögliche Selbstständigkeit hatte ich sowieso nicht ein einziges Mal nachgedacht.
„Hier steckst du also.“
Ich zucke kurz zusammen, als mir Rachel, meine Mitbewohnerin, unerwartet von hinten auf die Schulter klopft. Ich drehe mich um. Breit grinst sie mich an.
„Rate mal, bei wem ich tatsächlich zu einem zweiten Interview eingeladen werde.“ Sie wartet meine Antwort gar nicht erst ab. „Google! Ganz genau. Kannst du das glauben? Ich bin immer noch so zittrig und aufgeregt, kann es kaum fassen.“
Ich ringe mir ein Lächeln ab, versuche, mich mit ihr zu freuen. Sie hat es verdient, absolut. Rachel ist nicht nur meine Mitbewohnerin, sondern hat den Bachelor an der Columbia University mit mir zusammen absolviert und ebenfalls glänzende Noten erzielen können. Als gebürtige New Yorkerin hat Rachel allerdings im Gegensatz zu mir keinerlei Probleme, Vorstellungsgespräche und Jobangebote bei hochrangigen Unternehmen zu erhalten. Im Gegenteil, Rachel hatte bereits mehrere Jobangebote erhalten, hatte diese bisher aber alle abgelehnt. Mit einer Ruhe, um die ich sie unglaublich beneidete, erklärte sie mir jedes Mal, dass sie noch immer auf das Jobangebot warte, das ihr den Atem raubt und bei dem sie einfach nicht nein sagen konnte. Sie hatte eine Art romantische Vorstellung ihrer zukünftigen Karriere, die ich irgendwie albern fand. Und dennoch konnte sie es sich erlauben. Und jetzt hatte Google, das Unternehmen, das auch für mich einen der Top-Arbeitgeber darstellte, sie zu einem zweiten Gespräch eingeladen.
„Und du, Süße? Hat sich irgendwas ergeben?“ zwitschert sie fröhlich und wirft schwungvoll ihr langes Haar zurück. Von Kopf bis Fuß strahlt sie Unbeschwertheit aus, fast schon Naivität. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich sie eher für eine 18-jährige High School Absolventin, die sich für nichts anderes interessiert als Männer und Mode.
„Nein, nichts. Immer dasselbe Problem. Ich hab kein Visum.“
Es ist Rachel anzusehen, wie schwer es ihr fällt, ihre gute Laune ein wenig für mich zu unterdrücken. Kurz streicht sie mir durchs Haar.
„Du findest schon was, keine Angst. Und wenn nicht, kannst du immer noch meinen Bruder heiraten.“ scherzt sie. Ich lächle gezwungen und nicke. Dann greift sie nach meinem Arm.
„Im Saal 2 hält gleich der Gründer von ‚Alpha Fire‘ eine Rede über Selbstständigkeit und Unternehmensgründung. Hab gehört er soll total süß sein. Erst 30 Jahre alt und ziemlich gutaussehend.“ sagt sie aufmunternd. Ich kann es mir nicht verkneifen, sie wieder mit einer High School Schülerin zu vergleichen. Sich eine Rede ansehen weil der Redner „süß“ ist, reine Zeitverschwendung. Aber was Besseres habe ich nicht vor, also lasse ich mich von ihr Richtung Saal 2 ziehen.
KAPITEL 2
„Alpha Fire ist und war nicht einfach nur ein Job für mich, es ist meine Lebensaufgabe. Ich habe hart für das, was ich erschaffen wollte, gearbeitet, bin vielfach
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