Dunkle Verlockung (German Edition)
geküsst hat?«, fragte Rhoswen mit spöttischem Lächeln. »Zeig mal her.«
»Nur wenn du mir die kleinen Liebesbriefchen zeigst, von denen ich weiß, dass Vater sie dir noch immer schreibt.«
Die Wangen ihrer Mutter färbten sich so rosa wie die Spitzen ihrer Handschwingen, derselbe Farbton wie an den Innenkanten von Jessamys Flügeln. »Du schreckliches Mädchen!«
Kichernd drückte Jessamy das Buch und Galens Brief fest an ihr Herz. Während die Jahreszeiten vergingen, wurden viele dieser Briefe durch die Welt geflogen. Seite um Seite beschrieb sie mit Geschichten über das Leben in der Zufluchtsstätte – einschließlich der von den drei kleinen Engeln, die ebenso wie Jessamy auf Galen warteten.
Sie versichern mir, dass sich ihre Flugtechnik deutlich verbessert hat – sie haben die Übungen, die du ihnen aufgegeben hast, sehr gewissenhaft ausgeführt und unterrichten inzwischen auch ihre Mitschüler.
Illium, Jason und Aodhan, sie alle nahmen Jessamys Briefe entgegen und kehrten mit Galens Antworten zurück.
»Ist dir klar, dass ich zuerst zu dir gekommen bin, noch bevor ich meine eigene Mutter begrüßt habe?«, sagte ein müder Illium an einem Spätsommertag, als er ihr einen Brief übergab. »Galen hat mir angedroht, mir alle Federn einzeln auszureißen, wenn ich es nicht tue.«
Sie liebte diesen blaugeflügelten Engel, der stets ihr Herz erfreute. Herzlich küsste sie ihn auf die Wange. »Flieg nur zum Kolibri«, sagte sie; seine Mutter, die diesen Beinamen trug, war eine begabte Künstlerin. »Sie hat schon den Himmel nach dir abgesucht.«
Vor dem Orange und Gold des Sonnenuntergangs bot der Engel einen spektakulären Anblick, aber Jessamy hatte sich bereits abgewandt und brach mit zitternden Fingern das Siegel. Wie immer war der Brief kurz und ohne Ausschmückungen. Kein Wort der Liebe. Einfach nur Galen.
Sag meinen kleinen Schülern, dass ich vorhabe, sie bei meiner Rückkehr einer strengen Prüfung zu unterziehen. Es ist nie zu früh, mit der Ausbildung eines Geschwaders zu beginnen.
»Oh, wunderbarer Mann«, flüsterte sie, denn diese Worte würden den Kleinen, die ihn wie einen Helden verehrten, alles bedeuten.
Dieses Mal lag kein Gänseblümchen darin. Nur eine unausgesprochene Bitte.
Die Feder, die ich dir bei meinem Aufbruch entwendet habe, verliert ihren Duft nach dir.
Sie schickte ihm eine Feder aus der Innenseite ihres Flügels, wo die Rötung sich zu Magenta vertiefte. Sie schrieb ihm von den Sommerblumen in den Bergen und von den politischen Spielchen, die sie nun beobachten konnte, da Michaela sich auf dem haarfeinen Grat zwischen Engel und Erzengel bewegte. Und sie schrieb auch, dass sie sich um Illium sorgte.
Vor seiner Abreise aus der Zufluchtsstätte hatte sich der junge Engel in eine Sterbliche verliebt, und seit seiner Rückkehr wurde diese Liebe mit jedem Tag größer. Die meisten taten es nur als eine Schwärmerei seinerseits ab, weil sie die wilde Schönheit seines Geistes als Leichtfertigkeit fehldeuteten, aber Jessamy wusste, welche Kräfte Illiums treues Herz barg.
Ich kann mir Illium nicht ohne sein Lächeln vorstellen, schrieb sie, als sie im Klassenzimmer an ihrem Pult saß, während der blaugeflügelte Engel draußen mit ihren Schülern spielte. Ihr Tod wird ihn bis in alle Ewigkeit verfolgen.
Galens Antwort fiel schlicht aus. Er ist stark. Er wird es überleben. Dann fügte er etwas hinzu, das ihr beinahe das Herz brach. Ich bin nicht so stark.
Bei diesen Worten von ihrem tapferen Krieger liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Sie schrieb ihm, wie sehr sie ihn bewunderte, denn sie würde Galen gegenüber nie wieder Barrieren zum Selbstschutz aufbauen. Er sollte sich ihrer Liebe immer, immer gewiss sein. »Mein Galen.«
Der Herbst hatte Einzug gehalten, als Dmitri ihr eine Antwort brachte. Er war mit einem schnellen Seeschiff gekommen und würde sich von einem Engelsgeschwader mit zurücknehmen lassen. Dadurch sollte Illium mehr Zeit im Turm verbringen können. Jessamy fing den Blick des Vampirs auf. »Es ist kein Zufall, dass er so bald zurückbeordert wurde, nicht wahr?«
Dmitris sinnlich geschwungener Mund bildete eine schmale Linie, als der Vampir den Kopf schüttelte. »Raphael ist wegen Illiums Beziehung zu diesem sterblichen Mädchen besorgt. Er könnte Grenzen überschreiten, die nicht überschritten werden dürfen, und Geheimnisse verraten, die kein Sterblicher kennen darf.«
Jessamy blickte ihm mit schwerem Herzen nach, denn sie wusste, welche
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