Dunkle Visionen
wollte Liebe mit ihm machen. Sie wollte sich verführen lassen und hinweggeschwemmt werden von ihrer Lust, und am Montag würde sie ihren Freundinnen von ihm erzählen. Sie würde lachen und ihnen vorschwärmen, was für ein atemberaubender Liebhaber er war und wie unglaublich romantisch und was für ein traumhaftes Wochenende sie verlebt hätten, und sie würde so glücklich sein, wie es eine verliebte Frau mit einem attraktiven Liebhaber nur sein konnte, mit einem Mann, der sie so sehr liebte, dass …
Madison wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie schrie im Traum, aber vergeblich. Sie war die schöne Frau, und sie wurde von ihrer Erregung hinweggeschwemmt, von ihrem Verlangen und der Sehnsucht, berührt und begehrt zu werden … Oh Gott, es hatte etwas so Erbärmliches an sich, derart bedürftig zu sein.
Die Landschaft flog vorbei. Madison erkannte sie wieder und erkannte sie doch nicht. Sie wollte aufwachen, sie wollte das aufhalten, was gleich passieren würde, aber sie konnte es nicht.
Das Paar lachte und schäkerte miteinander. Das Gesicht des Mannes konnte sie nicht erkennen, aber sie sah das wunderschöne dunkelrote Haar der Frau, das im Fahrtwind wehte.
Dunkelheit senkte sich herab. Zeit verstrich …
Sie waren in einem Schlafzimmer. Einem dämmrigen Hotelzimmer. Sie lachte wieder, so glücklich, so voller freudiger Erwartung. Sie küssten sich, flüsterten sich gegenseitig heisere Liebesworte ins Ohr. Er machte die Knöpfe ihrer Bluse auf … einen nach dem anderen … berührte sie, streichelte sie …
Madison wollte beschämt den Blick abwenden, plötzlich fühlte sie sich wie ein Voyeur. Die rothaarige Frau war zu allem bereit. Sie war bereit, ihrem Geliebten jeden Wunsch zu erfüllen. Nackt wälzten sie sich eng umschlungen auf dem Bett. Sie erlaubte, dass er sie umdrehte, auf den Bauch. Seine Finger krallten sich in ihr Haar, zogen ihren Kopf zurück. Sie drehte den Kopf nur leicht, um ihren Liebhaber anschauen zu können, und in diesem Augenblick sah sie …
Das Messer … oh Gott, das Messer, das auf sie zukam …
Madison wachte auf und schluckte verzweifelt den Schrei hinunter, der ihr im Hals steckte. Carrie Ann schaute sich in ihrem Zimmer ein Video an; sie durfte ihre Tochter nicht erschrecken. Großer Gott, sie zitterte immer noch am ganzen Körper. So einen schrecklichen Traum hatte sie schon seit langem nicht mehr gehabt.
Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war fast fünf Uhr nachmittags; um acht hatte sie einen Auftritt. Sie hatte nicht vorgehabt einzuschlafen. Ganz gewiss aber hatte sie nicht vorgehabt zu träumen. Und, oh Gott, schon gar nicht einen so entsetzlichen, qualvoll lebendigen, erschreckenden Traum …
Sie stand auf und lief einen Augenblick in ihrem Zimmer auf und ab, dann ging sie zum Telefon und wählte Jimmy Gates’ Nummer. Glücklicherweise war er noch im Büro.
„Madison?“ fragte er, aber sie sprudelte auch schon ohne Übergang los.
„Jimmy, dieser Traum …“
Er hörte zu, ohne sie zu unterbrechen.
„Jimmy, ist irgendetwas passiert? Weißt du irgendetwas von dem, was ich dir eben erzählt habe?“
Sein Zögern ließ sie zusammenzucken. Ja, es war etwas passiert, das spürte sie ganz deutlich.
„Ich weiß nicht … ich meine, ich bin mir nicht sicher, ob alles so war, wie du eben beschrieben hast, aber … hör zu, ich habe da einen Fall. Ich wollte dich ohnehin am Montag anrufen. Ich brauche deine Hilfe. Du bist doch übers Wochenende unten bei deinem Dad, richtig?“
„Ja.“
„Ich hole dich am Montag früh bei dir zu Hause ab. Wir können dann von dort aus hinfahren, okay? Ich wünsche dir ein schönes Wochenende. Und gib Carrie Anne einen Kuss von mir, hörst du? Aber vielleicht komme ich am Samstagabend auch kurz runter. Und mach dir keine Sorgen – es gibt niemanden, für den du im Augenblick etwas tun könntest außer für dich selbst, hast du verstanden?“
Sie nickte, und weil er es nicht sehen konnte, sagte sie ja und legte auf, dann seufzte sie erleichtert auf, weil die erschreckende Lebendigkeit des Traums langsam verblasste. Sie hasste es, wenn sie solche Träume hatte.
Sie fuhr sich mit einer Bürste durchs Haar. Also schön, sie hatte Jimmy angerufen. Sie würde tun, was in ihrer Macht stand, um zu helfen, so wie sie es in der Vergangenheit schon öfter getan hatte. Glücklicherweise wurde sie nur selten von derartigen Träumen heimgesucht. Wenn sie helfen konnte, tat sie es. Und doch wusste sie, dass sie die Welt nicht
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