Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sie nach Rinteln gebracht wurde. Von dort war sie dann mit dem Kaufmann bis Minden weitergefahren. Schneller war die Strecke nicht zu schaffen.
Der Regen war ihr durch den Umhang gedrungen und hatte auch ihr Kleid durchnässt. Sie musste sich schnell etwas anderes anziehen. Mit zwei Schritten war sie bei Ludolf, nahm ihm das Bündel aus der Hand und schob ihn ohne Widerstand aus dem Raum.
»Bis gleich.« Und schon war die Tür zu.
Noch immer benommen stand Ludolf im Dunkeln vor der Tür und erholte sich langsam von der Überraschung. Als der Brief des Bischofs angekommen war, hatte er zwar gehofft, sie würde ihn begleiten, es aber nicht wirklich geglaubt. Und dass sie ihm hinterherreisen könnte, erst recht nicht.
»Kannst wieder hereinkommen!«, erklang es schließlich.
Vorsichtig öffnete Ludolf die Tür. Agnes kniete in trockenen Kleidern vor dem Kamin und trocknete ihre langen, schwarzen Haare. Das nasse Kleid lag auf dem Tisch, das Unterkleid über dem Stuhl, und der Inhalt des Bündels ergoss sich über das Bett. Spitzbübisch lächelte sie ihn an.
»Schön, ähm … dass du da bist«, stotterte er.
Großmütig antwortete sie: »Genau. Ohne mich bist du doch aufgeschmissen.«
»Wer’s glaubt, wird selig.« Langsam fing sich Ludolf wieder.
»Ach ja? Der Bischof ist jedenfalls von meinen Fähigkeiten überzeugt.«
»Er ist nur höflich.«
Mit einem drohenden Unterton entgegnete sie: »Und warum hat er dann dich gerufen?«
»Aus Mitleid.«
Agnes lachte vergnügt auf. Ludolf war einer der wenigen, die sich über sich selbst lustig machen konnten. Das gefiel ihr so gut an ihm. Er nahm sich nicht so wichtig und amüsierte sich nicht auf Kosten anderer. Sie merkte jetzt wieder, wie sehr er ihr in den letzten Monaten gefehlt hatte. Sie war ihm bewusst aus dem Weg gegangen; denn schließlich gab es noch immer ihr Gelübde, an dem sie festhalten musste. An manchen Tagen aber wäre sie am liebsten zum Domhof hinübergeeilt und hätte sich in seine Arme geworfen. In solchen Augenblicken verspürte sie den quälenden Wusch, sich von ihrem Gelübde loszusagen und seine Frau zu werden. Für alle Ewigkeit mit ihm zusammen zu leben, Kinder zu haben und glücklich sein. Aber solche Anwandlungen hatte sie jeweils erfolgreich mit Arbeit niederkämpfen können.
Um die trübsinnigen Gedanken zu verjagen, begann sie wieder zu sticheln: »Genau. Weil du ja wieder geheult hättest, wenn man nur mich gerufen hätte.«
»Moment! Wer hatte denn damals die Einträge auf den Listen gefunden?«
»Nur, weil du die Listen als Erster in den Fingern hattest. Ohne meine außergewöhnlich klugen Fragen und mein Einfühlungsvermögen in die weibliche Seele hätten wir die Lösung nie gefunden.«
Er lachte. »Au, au, hier staubt es jetzt aber gewaltig.«
»Wie immer.«
»Deine außergewöhnlich klugen Fragen wirken vielleicht bei Frauen, aber beim Händler hätten sie dir fast das Genick gebrochen.«
Agnes’ Lächeln erstarb. Sie wurde schmerzlich daran erinnert, wie sie durch ihren eigenen Leichtsinn beinahe ihr Leben verloren hätte. Sie war so dumm gewesen zu glauben, an sie würde sich ein Verdächtiger nicht herantrauen – und das nur, weil der Bischof persönlich sie beauftragt hatte. Zum Glück war Ludolf schnell genug da gewesen und hatte sie gerettet.
»Danke, dass du mich an meinen Fehler erinnern musstest.«
»Tut mir leid. Das wollte ich nicht.«
Sie schwieg einen Augenblick. »Schon gut.«
»Du bist mir das Liebste auf der Welt. Ich könnte nicht ertragen, wenn dir etwas zustoßen würde.«
Agnes stand auf und ging auf ihn zu. Sie nahm schnell seine Hände, damit er nicht wieder auf den Gedanken kam, sie in den Arm zu nehmen. Denn das wollte sie lieber nicht riskieren. Sie wusste seit ihrer letzten gemeinsamen Mission nur zu gut, welche Gefühle in ihr aufstiegen, wenn er sie umarmte. Ja, sie sehnte sich nach seiner Nähe, mit jeder Faser ihres Körpers … und gleichzeitig fürchtete sie sie. Ihr Gewissen sträubte sich dagegen, ihrem heiligen Schwur untreu zu werden, voller Angst, ihr Seelenheil zu verlieren.
So standen sich die beiden eine ganze Zeit wortlos gegenüber und sahen einander tief in die Augen.
Schließlich begann Agnes: »Bitte versteh mich. Ich will nicht wieder wegen meiner Verpflichtungen in Gewissenskonflikt geraten. Wenn ich dir so nahe bin, in deinen Armen … Die Zeit mit dir damals war berauschend schön. Aber diesen endgültigen Schritt will ich nicht gehen. Bitte.«
Ludolfs
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