Ein allzu schönes Mädchen
spuckte sie ihrem Bild ins Gesicht und verließ das Haus.
An einem niedrigen Anbau entdeckte sie eine Tür. Mit einiger Mühe gelang es ihr, den Riegel zurückzuschieben. Unversehens
fand sie sich am Eingang zu einem winzigen Stall, der bewohnt wurde von einem guten Dutzend Hühner, einigen Enten, zwei Ziegen
und einem Schwein. Der Gestank, der Manon aus dem Verschlag entgegenquoll, und der erneute Schreck, der sie beim Anblick einer
so großen Zahl von Lebewesen durchfuhr, ließen sie zurückprallen. Doch auch jetzt überwog ihre Neugier, sodass sie das Vieh
zunächst eine Weile |16| beobachtete, sich dann aber auf alle viere niedersinken ließ, in den Stall kroch und sich bald unter den Tieren bewegte, als
sei sie kein Menschenkind, sondern gehöre zu ihnen. Sie ahmte das Gackern der Hühner nach, imitierte das Grunzen des Schweins,
und mit einiger Übung gelang es ihr auch, in den meckernden Gesang des Ziegenpärchens einzustimmen. Immer wieder hielt sie
inne, um ihrer eigenen Stimme nachzulauschen, was ihr offensichtlich das größte Vergnügen bereitete. Nach und nach verließen
die Tiere den Stall, hielten sich, wohl verwundert über ihre unvermutete Freiheit, eine Weile auf dem Hof und in der Nähe
des Hauses auf, bevor sie sich auf die umliegenden Felder verstreuten.
|17| Zwei
Als die Witwe am späten Vormittag von ihren Einkäufen zurückkehrte und die von Manon angerichteten Verwüstungen entdeckte,
rief sie ohne weitere Umschweife die Gendarmerie an. Man versprach ihr, noch im Laufe des Tages, wahrscheinlich aber eher
gegen Abend, einen Polizisten vorbeizuschicken, der den Schaden protokollieren und ihre Anzeige entgegennehmen werde.
Madame Fouchard war eine unerschrockene Frau, die nach dem frühen Tod ihres Mannes nicht wieder geheiratet hatte, obwohl es
an Bewerbern aus der näheren und weiteren Umgebung nicht gefehlt hatte. Ihre Ehe war, nach zwei Fehlgeburten und der dringenden
Warnung des Arztes vor einem weiteren Versuch, kinderlos, aber doch bis zum letzten gemeinsamen Tag glücklich geblieben. Die
Ehepartner hatten es geschafft, die ungestillte Sehnsucht nach einem Kind in umso größere Zärtlichkeit füreinander zu verwandeln.
So begleitete Madame Fouchard ihren Mann, der bei der Landwirtschaftsbehörde in Straßburg angestellt war, stets auf dessen
häufigen Reisen, und er besprach alle beruflichen Probleme, wenn er abends aus dem Büro nach Hause kam, noch bevor er sie
mit Kollegen oder Vorgesetzten erörterte, mit seiner Frau.
Dann wurde Monsieur Fouchard krank. Und bald war klar, dass er nicht wieder genesen würde. Es war ein langer Abschied, den
die beiden Eheleute voneinander nehmen mussten. Und immer wieder beschwor der Kranke seine noch junge Frau, ihn nach seinem
Tod zwar gebührend zu betrauern, dann aber wieder ein normales Leben zu führen. Celeste, die |18| diesen Gedanken abwehrte, pflegte ihren schwächer werdenden Mann mit großer Hingabe. Sie kochte und wusch für ihn, sie führte
ihn auf den Hof, wo er sich in die Sonne setzte, und als er nicht mehr laufen konnte, brachte sie ihm das Essen ans Bett,
fütterte ihn und las ihm stundenlang aus seinen Lieblingsbüchern vor. Und im Nachhinein hätte sie keine Stunde missen mögen,
auch nicht aus dieser letzten, schwersten Zeit ihres gemeinsamen Lebens.
Tatsächlich dauerte es lange, bis die junge Witwe sich an das Alleinsein gewöhnte. Doch nach und nach schaffte sie ein wenig
Vieh an, pachtete etwas Land, eignete sich die Fertigkeiten, die sie für Haus und Hof benötigte, mit großem Geschick an und
musste nur in seltenen Fällen einen Handwerker zu Hilfe rufen. Und obwohl sie sich in den vielen nachfolgenden Jahren immer
mal wieder für ein paar Wochen oder Monate einen Liebhaber hielt, achtete sie doch stets darauf, die Verbindung sofort abzubrechen,
wenn einer dieser Männer begann, ihr ernsthafte Avancen zu machen, eine feste Liaison oder gar eine Heirat zu fordern oder
nur vorzuschlagen. Sie wollte zwar gelegentlich das Bett, nicht aber noch einmal das Leben mit einem Mann teilen, dafür war
ihr die Erinnerung an Monsieur Fouchard zu teuer. Bald war sie klug genug, sich nur noch mit verheirateten Männern einzulassen,
da sie bei diesen zumeist sichergehen konnte, dass ihr allzu große Begehrlichkeiten erspart blieben. Freilich konnte es dabei
nicht ausbleiben, dass gelegentlich eine der betrogenen Gattinnen ihrem Mann auf die Schliche kam. Als eine solche
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