Ein delikater Liebesbrief
auf einen baldigen Antrag hindeutete. Henrietta fiel keine einzige Freundin ein, die so feurig geküsst worden war, ohne unmittelbar darauf einen Antrag zu erhalten.
Und mehr noch: Als Molly Maplethorpe geschwärmt hatte, ein Kuss verwandele einem die Knie in Vanillepudding, hatte sie keineswegs übertrieben, nein, sie hatte diese wunderbare Erfahrung eher abgeschwächt! Denn wenn Henrietta nur an Darbys Küsse dachte , stellte sich bereits das Puddinggefühl in den Knien ein.
Miss Pettigrew schaute sie forschend an, fuhr jedoch ungerührt mit dem Stundenplan der kommenden Woche fort. Henrietta äußerte keinen einzigen Kommentar. Sie konnte im Augenblick einfach kein Interesse für Schüler aufbringen, die fleißig Mathematik lernten. Sie konnte nur daran denken, dass Darby sie in ungefähr einer Stunde vor der Schule abholen und fragen würde, ob sie ihn heiraten wolle.
Er würde ihr einen Antrag machen, dessen war Henrietta sich sicher. Sie würde ihr Leben darauf verwetten, dass er sie beinahe schon neben ihrem Zweispänner gefragt hätte, wenn Millicent nicht im unpassendsten Moment erschienen wäre.
Vielleicht würde er bis zum Abend warten. Oder vielleicht sollte sie ihn zu einem romantischen Ort kutschieren. Nur wie sollte sie es anstellen, so etwas vorzuschlagen? Und welcher Ort könnte derzeit, bei der immer kälter werdenden Witterung, noch romantisch sein?
Immer wieder schaute Henrietta aus dem Fenster. Falls sie sich nicht sehr irrte, würde innerhalb der nächsten Stunde ein Schneesturm losbrechen. Schließlich nahm sie das drohende Unwetter zum Anlass, das Gespräch mit der Rektorin abzubrechen.
Seltsam – sie hatte Miss Pettigrew doch stets gemocht und bewundert, mit wie viel Herzblut sie sich den Kindern widmete. Doch heute kam ihr Miss Pettigrew wie eine einsame alte Jungfer vor, die sich stets in Grau und mit hohem Kragen kleidete, das Haar in strengen Zöpfen trug, abgehackt sprach und nur gelegentlich etwas Humor zeigte. Sie war gewiss nie geküsst worden. Sie würde nicht verstehen, dass Henrietta die Welt vor Darbys Ankunft in Limpley Stoke grau erschienen war und seit seiner Ankunft farbenfroh und schön.
Wohlige Wärme erfüllte Henrietta, als sie aus der Schule trat und mit dem Blick die Straße absuchte. Darby war nirgends zu sehen. Aber sie hatte ihm ja gesagt, dass das Gespräch durchaus eine Stunde dauern könne. Wenn sie nur an ihn dachte, bekam sie Herzklopfen. Er war so ein schöner Mann. Es war erstaunlich, dass er sich überhaupt für sie interessierte, dass er sie küssen wollte.
Und das Beste war, dass er sie heiraten wollte, obwohl sie ihm keine Kinder schenken konnte. Sobald er ihr den Antrag gemacht hatte, würde sie Josie und Anabel näher kennenlernen – als künftige Mutter . Denn das würde sie fortan sein: eine Ehefrau und Mutter.
Ihr Herz sang vor Freude.
16
Körperliche Vorgänge sind kein schickliches Thema für höfliche Konversation
»Mr Darby, ich muss Ihnen leider etwas sehr Unerfreuliches mitteilen«, begann Lady Holkham ohne Umschweife.
»Ich weiß bereits, dass Henrietta keine Kinder bekommen kann«, sagte er beschwichtigend. »Ich kann Ihnen versichern, dass dieser Umstand mir vollkommen gleichgültig ist. Ich habe mir nie Nachkommen gewünscht und überdies habe ich zwei Schwestern großzuziehen. Ich bin sicher, dass Henrietta Josie und Anabel eine wunderbare Mutter sein wird.«
»Sie verstehen nicht«, entgegnete Lady Holkham. »Lady Henrietta ist nicht bloß unfähig, Kinder zu bekommen.« Sie verstummte.
Darby legte die Stirn in Falten. Er verstand nicht, worauf sie hinauswollte. Lady Holkham saß kerzengerade auf ihrem Stuhl und schaute ihn an, als hätte sie ihm etwas höchst Wichtiges anvertraut.
»Sie ist nicht bloß unfähig, Kinder zu bekommen«, wiederholte er.
»So ist es!«, fuhr sie ihn an.
»Es tut mir leid«, sagte er schließlich. »Ich kann Ihrem Gedankengang nicht folgen, Mylady.« Es musste sich um ein Thema handeln, das Herzoginnenwitwen lieber vermieden.
Sie räusperte sich. »Henrietta kann kein Kind austragen.«
»Ja, das weiß ich.«
»Das heißt nicht, dass sie unfähig wäre, ein Kind zu empfangen«, sagte sie, peinlich berührt. »Ich will damit sagen: Sollte sie schwanger werden, bedeutet das Kind ihren sicheren Tod. Und es ist gut möglich, dass auch das Kind stirbt. Es ist ein Wunder, dass Henrietta ihre eigene Geburt überlebt hat. Ihrer Mutter war dieses Glück nicht vergönnt.«
Darby schluckte. »Wie um
Weitere Kostenlose Bücher