Ein Fall für Perry Clifton
aus London — Mister
Perry Clifton.“
Perry Clifton tritt ein.
Wenn er den Alten mit dem
Leuchter auf hundert Jahre geschätzt hat, so gibt er seinem neuen Gegenüber
zweihundert. Langes schlohweißes Haar umgibt ein verrunzeltes Gesicht, das von
einem Paar gütiger Augen beherrscht wird. Alles, außer der Stimme, scheint
zerbrechlich zu sein. Perry wundert sich über das sonore, kräftige Organ, das
jetzt zu dem Butler gewandt sagt:
„Ist gut, James, geh schlafen.“
„Gute Nacht, Sir. Gute Nacht,
Mister Clifton.“
Mit einer Verbeugung
verschwindet der Butler.
Perry ist mit Paul Cool, seines
Zeichens Rechtsanwalt, allein. Von der Umgebung des Zimmers kann er so gut wie
nichts wahrnehmen, denn man scheint in diesem Haus eine Vorliebe für Leuchter zu
haben. In diesem Fall ist es nur eine einzige Kerze, die auf dem schmalen
Kaminsims steht.
Mit fast neugierigen Blicken
mustert Perry die Erscheinung des alten Mannes.
Cool weist mit einer
einladenden Geste auf einen Plüschsessel.
„Setzen Sie sich, Clifton...“
Und während sich Perry hinsetzt, fügt er hinzu: „Oder soll ich lieber ,Mister’ Clifton sagen?“
Hat Perry für einen Moment
gestutzt, so zieht jetzt ein breites Lächeln über sein Gesicht.
„Ich bin nicht eitel, Sir. Sie
können mich auch Perry nennen.“
„Ausgezeichnet. Das ist genau
der Ton, den man für den Umgang mit Verrückten braucht.“
Auch Cool lächelt jetzt. Und
als Perry fragend aufblickt und dazu meint: „Ich verstehe Sie nicht, Sir“,
tippt sich Mister Cool an sein Ohr und kichert verschmitzt.
„Wenn mich meine alten Ohren
nicht im Stich gelassen haben, so hörte ich vorhin ein Auto wenden.“
„Ganz recht, Sir. Ich bin mit
einer Taxe gekommen.“
„Na also“, freut sich Mister
Cool, „ich will mir einen Finger nach Ihrer Wahl abbeißen, wenn Ihnen der
Chauffeur nicht mitgeteilt hat, daß der alte Cool verrückt ist.“
„Stimmt, Sir.“ Perry gewinnt
immer mehr Spaß an der Situation. Und das nachts um ein Uhr...
„Er wird Ihnen sicher nicht
verheimlicht haben, daß ich des Nachts mit meinen toten Ahnen spreche.“
„Er sprach davon!“
„Hat er Ihnen auch verraten,
daß ich nachts bei Vollmond auf einem Besen um mein Haus reite?“
Perry grinst. „Das muß er
vergessen haben, Sir.“
„Schade. Dann lassen Sie sich
sagen, daß es hier im Haus spukt und überhaupt, daß alles, was hier geschieht,
nicht mit rechten Dingen zugeht.“
„Danke für die Aufklärung, Sir.
Im übrigen wurde mir geraten, gleich wieder
abzureisen.“
„Und Sie haben diesen Rat nicht
befolgt?“
„Erstens glaube ich an keine
Spukgeschichten und zweitens jetzt erst recht nicht mehr. Ich finde Sie sehr lebendig und bin überzeugt, daß Sie sich als Sitzgelegenheit und
Transportmittel etwas anderes als einen Besen aussuchen.“
Mister Cool lächelt sehr
geheimnisvoll. Doch dann steht er auf und klopft Perry auf die Schulter.
„Wissen Sie, Perry, es ist ein sonderbares Ding mit den Menschen... aber wir
wollen nicht philosophieren. Wissen Sie was, ich zeige Ihnen jetzt Ihr Lager
für heute nacht. Eigentlich wollte ich Ihnen noch über Albert Tusel berichten —
aber ich bin jetzt doch müde. Und über Ihren Onkel können wir uns morgen nach
der Beerdigung unterhalten. Einverstanden?“
„Fein, Sir, ich glaube auch,
daß mir eine Mütze voll Schlaf ganz guttun würde.“
Mister Cools Geschichte
Die Beerdigung ist vorbei.
Perry und der Anwalt waren die
einzigen Menschen, die an der kleinen Feier teilgenommen haben. Und sooft Perry
versuchte, sich die Züge des Verstorbenen ins Gedächtnis zu rufen, mißlang es.
Zu lange Zeit war seither vergangen. Jetzt sitzen sie wieder in Mister Cools
Studierzimmer, das Perry längst in „Bibliothek“ umgetauft hat. Er schätzt die
in den Regalen stehenden Bücher auf mindestens zweitausend. Alle Wände stehen
voll.
Mister Cool hat sich einen
Sherry eingeschenkt. Perry nippt an einem Whisky. Er ist gespannt, was ihm
Mister Cool über seinen Onkel Albert Tusel berichten wird.
Und da beginnt er auch schon.
Der Rechtsanwalt spricht leise,
fast ein wenig verträumt... oder besser noch — melancholisch...
„Albert Tusel war ein
Eigenbrötler wie ich. Er hielt wenig von den Menschen und ließ sie es auch
merken, indem er sich nicht mit ihnen abgab. Aber er war mein Freund, wenn er
auch nur selten in Ipswich weilte...“
„Ich habe seit zwanzig Jahren
nichts von ihm gehört. Sozusagen seit meiner Kindheit“,
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