Ein guter Blick fürs Böse
an meiner Seite. »Sie derart anzustarren. Er hat kein Benehmen, dieser Kerl, auch wenn er ein Clown ist! Selbst ein Clown sollte eine anständige Dame auf einem harmlosen Spaziergang nicht so anstarren!« Erzürnt wedelte sie in seine Richtung.
Das brach den Bann. Der Clown wandte den Blick ab, und ich erwachte aus meiner Lähmung. »Komm weiter!«, sagte ich zu Bessie und marschierte direkt an dem Clown vorbei auf die Brücke. Bessie trottete neben mir her.
Unvermittelt sahen wir direkt vor uns erneut Thomas Tapley, der sich ebenfalls auf dem Weg nach Hause befand. Falls er unterwegs nicht irgendwo angehalten hatte, hatte er wahrscheinlich eine ähnlich weite Strecke zurückgelegt wie Bessie und ich. Doch sein Schritt war nach wie vor zügig, und wir würden ihn nicht einholen. In diesem Augenblick überholte uns jemand anderes. Verwundert stellte ich fest, dass es der Clown war.
Er hatte seine Aufführung abgebrochen. Verfolgte er uns etwa? Mein Herz klopfte schmerzhaft. Doch er zeigte kein Interesse an uns. Er hastete an uns vorbei, und ich erhaschte einen Blick auf seine grelle Garderobe. Als er Tapley fast erreicht hatte, wurde er langsamer, sodass er in gleichbleibendem Abstand ein paar Schritte hinter ihm blieb. Hätte Tapley sich umgedreht, so wäre ihm der Kerl nicht sofort aufgefallen. Auf der Brücke herrschte geschäftiges Treiben, und ich gewann den Eindruck, dass der Clown sorgfältig darauf achtete, stets ein paar Fußgänger zwischen sich und dem abgewetzten flaschengrünen Gehrock zu behalten.
Tapley drehte sich nicht um. Seine Gedanken kreisten wahrscheinlich ähnlich den unseren um den Nachhauseweg und das willkommene Pfeifen des Teekessels auf der Herdplatte. Die beiden gingen schneller als wir, und die Menge, die sich vor dem Clown geteilt hatte, schloss sich hinter ihm wieder und entzog ihn meinem Blick. Es war klar, dass sie die andere Seite weit vor uns erreichen mussten, sodass ich mich nicht weiter wunderte, als wir dort ankamen und nichts mehr von ihnen zu sehen war.
Ich war erfüllt von dunklen Vorahnungen, doch ich sagte mir, dass meine Phantasie wieder einmal mit mir durchging. Trotzdem – ich hatte den Eindruck, als hätte der Clown Thomas Tapley verfolgt.
KAPITEL ZWEI
An diesem Abend erwähnte ich Ben gegenüber nichts von dem Clown. Ich hatte Bessie gewarnt, ebenfalls zu schweigen. Als wir nach Hause gekommen waren, hatten wir uns ohne Umschweife an die Zubereitung des Abendessens gemacht, und so kam es, dass wir nicht einmal untereinander über das Erlebte redeten. Ich schämte mich wegen meiner Feigheit, als die mir mein Verhalten nun erschien. Außerdem war ich ein wenig beunruhigt wegen Tapley, auch wenn ich mir sagte, dass das wohl nur eine Projektion meiner eigenen Angst war.
Was ich Ben erzählte, war, dass wir Mrs. Jamesons Untermieter getroffen hatten. Ich überbrachte seine Grüße und seine Hoffnung, Ben möge London von Halunken befreien.
»Wir geben unser Bestes«, entgegnete Ben ironisch. »Doch es ist ein bisschen wie bei diesem griechischen Monster. Man schlägt einen Kopf ab, und sieben neue Köpfe wachsen nach.«
»Du meinst die Hydra«, sagte ich.
»Genau. Die Londoner Unterwelt ist wie die Hydra. Wir nehmen einen Ganoven fest und stellen ihn vor Gericht. Der Richter steckt ihn ins Gefängnis. Doch noch bevor der Prozess zu Ende ist, machen neue Ganoven da weiter, wo der erste aufgehört hat.« Er hielt inne und nahm einen Bissen von der Pastete. »Sonst bist du also niemandem begegnet?«
»Niemandem, den wir kennen«, antwortete ich, indem ich Wahrheit und Diskretion zugleich Genüge tat.
Bis zum nächsten Abend passierte nichts mehr. Es war ein geschäftiger Tag gewesen. Wir hatten das Abendessen beendet und unterhielten uns im Salon vor dem Kamin. Die Abende waren immer noch so kalt, dass man abends heizen musste. Der Salon war ein dunkles Zimmer ohne Sonne und stets ein wenig kühl. In der Küche war Bessie auf ihre übliche geräuschvolle Art mit dem Abwasch zugange.
Plötzlich gab es ein lautes Scheppern, gefolgt von Bessies erschrockenem Ausruf.
»Dieses Mädchen!«, brummte Ben. »Hat sie schon wieder einen Teller kaputt gemacht?«
Doch ich war bereits auf den Beinen. Bessies lauter Schreckensruf ließ mehr als einen zerbrochenen Teller erahnen, und tatsächlich, die Wohnzimmertür flog auf, und Bessie erschien mit nasser Schürze und schief auf dem Kopf sitzender Haube.
»O Sir! O Missus!«, japste sie. »Es ist etwas ganz Schlimmes
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