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Topchter der Köingin Tess 1

Topchter der Köingin Tess 1

Titel: Topchter der Köingin Tess 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cook
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    Es mag eine glückliche Fügung gewesen sein, dass meine Aufmerksamkeit quer über die Straße auf den schlammbespritzten Zigeunerwagen gerichtet blieb, doch das bezweifelte ich. Nebulöse Zufälle wie Glück oder Fügung wurden in meinem Leben nicht geduldet, jeder Augenblick war durchgeplant, wenn ich nicht selbst für etwas Spontaneität sorgte. Nein … wahrscheinlich war es mein Durst nach etwas jenseits des bekannten Horizonts, mein Wunsch zu sehen, was um die nächste Ecke knapp außerhalb meiner Sichtweite und Kenntnis lag. Entweder das, oder ich war zu Tode gelangweilt.
    »Seht, Kavenlow«, sagte ich und kniff die Augen gegen die Sonne zusammen, um den bunt bemalten Zigeunerwagen zu betrachten. »Eine Handleserin. Hier.« Ich drückte ihm meinen letzten Einkauf, einen Ballen Stoff, in die Arme. »Ich will mir die Zukunft deuten lassen.«
    »Tess.« Schwankend fuhr der Mann herum, um mit mir Schritt zu halten, als ich loslief. »Wir sollten zurückkehren. Es ist zu gefährlich, so lange draußen zu bleiben.«
    »Ach, möge Gott Euch retten«, beklagte ich mich. »Es ist noch nicht einmal Mittag. Hier bin ich sicherer als in meinen eigenen Gemächern.« Ob man das nun als Glück oder Unglück betrachtete, es stimmte jedenfalls, und ich überquerte zuversichtlich die Straße, auf der reges Treiben herrschte. Vor mir tat sich ein Weg durch die Menge auf, als ich auf den aus Holzlatten gezimmerten Wohnwagen zuhielt, der mitsamt dem Pferd davor im Schatten der dicht gedrängten Häuser abgestellt war.
    Unter gereiztem Schnauben hastete Kanzler Kavenlow mir nach, und ich verlangsamte meine Schritte. Mit einem unauffälligen Blick auf den stämmigen Mann versuchte ich, den Grad seiner Verärgerung einzuschätzen. Sein leicht faltiges Gesicht wirkte angespannt, die Wangen waren von der heißen Sonne gerötet. Die Finger, die meine Päckchen festhielten, waren stark, weil sie so oft ungebärdige Pferde zügelten, und die Fingerspitzen wiesen noch Flecken von der Tinte auf, die ich gestern während meiner Geschichtsstunde verschüttet hatte. Haar und Bart, säuberlich gestutzt, waren ergraut, ebenso seine dichten Augenbrauen. Doch Kinn und Kiefer drückten dieselbe beständige, verlässliche Vernunft aus wie eh und je. Er war immer noch mein lieber Kavenlow, derjenige, an den ich mich mit meinen Fragen zuerst und mit meinen Klagen zuletzt wandte.
    Im Augenblick waren seine Brauen verdrießlich gerunzelt. Ich verzog unwillkürlich das Gesicht – womöglich hatte ich den Punkt erreicht, ab dem der Zorn meiner Eltern, weil er mich so lange hatte draußen bleiben lassen, für ihn schwerer wog als die peinliche Szene, die es geben würde, wenn er mich hinter die Mauern zurückschleifte. Das war seit meinem dreizehnten Lebensjahr nicht mehr vorgekommen, doch die Erinnerung an diese Demütigung trieb mir noch heute die Hitze in die Wangen.
    Es war kalt gewesen, als wir vorhin aufgebrochen waren, und er fühlte sich in seinem Umhang sichtlich unwohl; meinen hatte er fast den ganzen Vormittag lang getragen. Seine Stiefel waren ebenso staubig wie die untere Hälfte meines Rocks – die Straßen hatten den mit Spitzen besetzten weißen Stoff von den Knien abwärts schmutzig gelb verfärbt. Als ich ihn so gereizt sah, beschloss ich, auf dem Heimweg bei einem Weinhändler haltzumachen, um seine Laune durch Bestechung zu bessern. Abgesehen davon fand ich in diesem Moment, dass er mit dem schwarzen Lederwams und dem Dolch am Gürtel eher aussah wie ein Meisterreiter denn wie ein oberster Buchhalter und bewaffneter Begleiter.
    »Tess«, sagte er mit einem verkniffenen Zug um die blaugrauen Augen, als er sich meinem langsameren Schritt anpasste. »Ich rate Euch dringend, lasst uns heimkehren. Euer Bräutigam ist zu früh eingetroffen.« Er blickte sich um, verlagerte meine vielen Päckchen auf den anderen Arm und musste trotz seines ledernen Huts die Augen gegen die Sonne zusammenkneifen. »Und er hat so viele Soldaten mitgebracht. Doppelt so viele, wie er bräuchte. Sie drängen sich in unseren Straßen.«
    Ich zwang mich zu einem unbekümmerten Lächeln. Das war mir auch schon aufgefallen, aber da ich nichts tun konnte, außer sie zu beobachten und abzuwarten, hatte ich nichts dazu gesagt. Und ich wusste, dass Kavenlow dieser Situation wesentlich mehr Beachtung schenkte als der Fliege, die gerade auf seiner Nase zu landen versuchte. »Wahrscheinlich hat er erfahren, was Prinz Rupert zugestoßen ist«, entgegnete ich.

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