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Ein schmutziges Spiel

Ein schmutziges Spiel

Titel: Ein schmutziges Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Keskinen
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Kapitel Eins
    Lili Molina war allein in der Garderobe, die Letzte, und sie nahm sich Zeit. Sie streifte die ellbogenlangen Handschuhe mit ihren Fingern aus Laub und gekrümmten Zweigen über. Daphnes Finger, Kennzeichen der Verwandlung der griechischen Nymphe vom Mädchen zum Baum. Ein lebendiger Tod, eigentlich fürchterlich. Aber Lili schien die Einzige zu sein, die das so empfand.
    In der Werkstatthalle riefen Trommelschläge zur Aufmerksamkeit. Sie trat hinter dem Sichtschutz hervor und hielt vor dem großen Spiegel inne, bezaubert von der Schönheit der jungen Frau, die ihr entgegenblickte. Zum ersten Mal seit vielen Stunden lächelte Lili.
    Leuchtend kupferfarbene Strähnen zogen sich durch ihr dunkles Haar. Ihre braune Haut schimmerte unter einer Schicht goldenen Puders, und mehrere Lagen transparenten, silbernen Netzstoffs schmiegten sich fließend an ihren scheinbar nackten Körper. Unter den Netzen trug Lili einen undurchsichtigen Bodystocking, aber das war kaum erkennbar. Ihre Figur – im normalen Leben recht gewöhnlich, wie sie dachte – sah in dem Kostüm atemberaubend aus, all die kleinen Unvollkommenheiten schienen wie verwandelt.
    Weitere Trommeln mischten sich in den Ruf. Lilis Stimmung blühte auf, entflammte schließlich wie rote Rosen. Sie schüttelte den Netzstoff zurecht, warf ihr Haar über die Schulter und tänzelte in den Saal hinaus.
    Alle, die sich in dem höhlenartigen Arbeitsraum versammelt hatten – die Tänzer, Schneider, Maskenbildner und Festwagenbauer – brachen in Applaus aus, als sie eintrat. Sie kletterte zu Jared, nun als Apollo kostümiert, auf die Plattform des Festwagens. Die Mambotrommeln wurden schneller und lauter. Lili küsste zwei Fingerspitzen und legte sie an ihr Medaillon, ein Bild der Virgen de Guadalupe, das wie stets an ihrer Halsgrube ruhte.
    Dann sprang die mächtige Doppeltür auf, und der prachtvolle Festwagen der Apollogilde rollte hinaus in die Gluthitze des Sonnenwendtages. Es war Mittag.
    Die Sonne hatte sich einen Pfad gen Westen gebrannt, als Lili das Pflaster erneut überquerte, dieses Mal zu Fuß, ihren Schlüssel ins Schloss steckte und eine der schweren Türen aufzog. Nun herrschte Stille in der halbdunklen Gildewerkstatt, erleuchtet allein durch das Licht, das durch die Fenster hoch oben in den Wänden hereinsickerte. Hinter ihr donnerte die Tür ins Schloss.
    So viele schöne Stunden hatte sie hier verbracht. Sechs Monate hatten sie an dem Festwagen und den Kostümen gearbeitet, hatten gesungen, getanzt und Pizza gegessen. Und vor drei Wochen war es hier, in diesem Raum, dann verkündet worden: Lili war auserwählt, die Daphne zu geben, genau wie sie es sich erträumt hatte. Die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen, als sie sich zwischen Tischen und Sägeböcken, die sich in dem Raum verteilten, einen Weg zur Garderobe im Ostflügel bahnte. Plötzlich hörte sie etwas.
    Eine Art Pochen drang aus einem der zellenartigen Kämmerchen auf der Rückseite des Saals. Lili blieb stehen, hielt den Atem an und lauschte. Wer mochte wohl am Sonnenwendtag arbeiten, während die Party im Alameda Park noch voll im Gang war?
    Doch dann verstand sie. Das war Danny. Natürlich. Es konnte nur Danny Armenta sein. Erleichtert machte sie kehrt und betrat den schmalen Flur zu ihrer Rechten.
    »Danny?«, rief sie. »Ich bin’s, Lili. Danny, bist du hier?« Sie ermahnte sich, ihn nicht zu erschrecken – in jüngster Zeit ließ er sich von allem so leicht einschüchtern.
    Als sie Dannys beengten Arbeitsplatz erreichte, schaute er schon erwartungsvoll zur offenen Tür her. Als er sie aber erblickte, senkte sich ein Ausdruck der Verwirrung über sein Gesicht. Es lag, wie Lili bewusst wurde, an dem Make-up, an der goldenen Hautfarbe, den Pailletten und dem Glitter.
    »Ich bin’s, Danny – Lili. Nur ich im Kostüm, okay?« Spielerisch wedelte sie vor ihm mit ihrer belaubten Hand. »Ich bin zurückgekommen, um mich umzuziehen.«
    Dannys Miene hellte sich auf. »Hi, Lili.«
    »Du hast mich wohl nicht gesehen, als ich auf den Festwagen gestiegen bin, sonst hättest du gewusst, dass ich es bin.«
    »Nein, ich …« Er zuckte mit einer Schulter. »Ich bin lieber hiergeblieben.«
    Danny war immer noch niedlich. Hatte immer noch dieses rotbraune Haar und die hellen, haselnussbraunen Augen. Er hatte zugenommen – wahrscheinlich wegen der Medikamente, die er nehmen musste –, aber das hatte seinem Aussehen nicht allzu sehr geschadet.
    »Was machst du da?«

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