Ein stuermischer Retter
Schlaf war einfach nicht normal, schon gar nicht einer, aus dem er nicht geweckt werden konnte, und genau das sagte sie ihm auch. „Ich möchte, dass du den nächsten nüchternen Arzt zu Rate ziehst, den wir finden können, Nicholas."
„Auf gar keinen Fall! An mir haben schon mehr als genug Quacksalber herumgedoktert."
„Aber ... "
„Nein!", brüllte er, und sie zuckte zusammen. Erst jetzt schien er zu begreifen, wie besorgt sie um ihn war. Er zog sie zu sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht anschreien. Als das mit diesen Kopfschmerzen anfing, habe ich einen Arzt aufgesucht - und im Lauf der Zeit nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von ihnen, darunter waren ein paar der besten Ärzte Englands. Ich kenne die Ursache für das Problem, und es ist nichts, worum du dir Gedanken machen müsstest. Eine kleine Unpässlichkeit, das ist alles."
„Aber ... "
„Wir haben nur ein wenig Zeit verloren, mehr ist nicht passiert. Wenn ich damit fertig werden kann, dann kannst du das sicherlich auch."
Faith blieb nichts anderes übrig, als dies zu akzeptieren. Er würde seine Meinung
nicht ändern, das wusste sie. Aber eins war ihr dennoch nicht entgangen - er hatte Ärzte zu Rate gezogen, in der Pluralform, und das bedeutete, dass es sich um etwas Ernstes handeln musste. Das war nicht nur einfach Migräne. Vielleicht so etwas wie Epilepsie? Eine kleine Unpässlichkeit hatte er es genannt.
Was mochte ein Soldat wohl als kleine Unpässlichkeit bezeichnen?
13. KAPITEL
Pflücke die Knospe, solange es geht, und die Blüten, wenn sie noch prangen.
Denn bald sind die Rosenblätter verweht, wie schnell kommt der Tod gegangen.
Robert Herrick
Nach Nicholas' Berechnungen sollten sie Bilbao am kommenden Tag erreichen. Er und Faith beschlossen, diese letzte Nacht in der Nähe eines kleinen Fischerdorfs am Strand zu nächtigen.
Es war eine warme, laue Nacht. Stevens hatte den einheimischen Fischern ein paar Fische abgekauft, und mit Faiths Hilfe bereiteten sie ein köstliches Abendmahl zu, das sie am Lagerfeuer zu sich nahmen.
Auf die Bitten aller hin holte Nicholas nach dem Essen die Gitarre hervor. Er spielte eine Reihe vertrauter Weisen, ein paar von Faiths Lieblingsliedern, wenigstens eins für Stevens und den „Mingulay Boat Song" für Mac. Faith kannte den Text und sang mit, doch ihre Stimme wurde rau vor Bewegung, als sie zu der Stelle kam, wo die Frauen am Hafen warteten. Sie warteten auf die Männer, die nicht nach Hause zurückkehrten. Frauen waren im Leben so hilflos. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als auf die Heimkehr ihrer Männer zu hoffen und für ihre Sicherheit zu beten. Nie erfuhren sie, wie es ihnen ergehen mochte. Warum nahmen Männer ihre Frauen nicht mit? Das wäre so viel freundlicher, als sie einfach im Ungewissen zurückzulassen.
Als Faith sich die Nase putzte und gegen ihre Ergriffenheit ankämpfte, stimmte Nicholas ein schwungvolles spanisches Lied an. Nach ein paar Takten erhob Estrellita sich mit raschelnden Röcken und fing an zu tanzen.
So etwas hatte Faith noch nie gesehen. Sie wusste instinktiv, dass das ein echter Zigeunertanz war, nicht solch eine lächerliche Imitation, wie sie bei den öffentlichen Auftritten von Felix zum Besten dargeboten wurde. Wie lange war das alles schon her. Felix hatte keine Ahnung gehabt. Von gar nichts, dachte Faith und verbannte ihn ein für alle Mal aus ihren Gedanken.
Estrellita tanzte barfuß im Sand, ihre kleinen, braunen Füße stampften und wirbelten durch die Luft. Einen Moment lang zeigten ihre Zehen anmutig nach oben - und schon im nächsten schlugen ihre Hacken in den Sand. Es war Leidenschaft und
Disziplin, uralte Tradition und das Feuer des Augenblicks, alles gebündelt in einem Tanz. Ihr Körper wand und verbog sich geschmeidig, ein einziger, anmutiger Wirbel. Alles an ihr war pure Magie, selbst ihre Hände, die mal klatschten, mal schnalzende Geräusche mit den Fingern machten.
Das Lied endete, doch noch ehe jemand applaudieren konnte, forderte Estrellita wie eine kleine Königin: „Noch ein Tanzlied." Nicholas gehorchte; seine Finger flogen förmlich über die Saiten, denen er eine feurige Melodie entlockte. Auch das war Magie.
Estrellita tanzte einen Tanz nach dem anderen; rasend schnelle Zigeunertänze, dann wieder langsame, die so sinnlich wirkten, dass Faith das Gefühl hatte, Zeugin einer sehr privaten Szene zu sein.
„Sie sind gut, Capitaine", stellte Estrellita nach weiteren
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