Ein stuermischer Retter
„Ich fasse es nicht!"
„War das etwa in Mr Blacklocks Kopf?", wollte Morton Black wissen.
„ Si", erwiderte Estrellita knapp und beugte sich erneut über die alte Frau, die nun noch zerbrechlicher wirkte als vorher. „Wenn die Blutung aufhört, müsst ihr das Zeug aus dem Topf dort auf seine Wunde schmieren und seinen Kopf mit sauberem Leinen verbinden", fuhr sie fort. „Sorgt dafür, dass er es warm hat. Du, Tavish, schürst das Feuer und schiebst das Bett ans Fenster. Die Alte wird mit dem Feuer im Rücken sterben, aber sie muss den Mond und die Sterne sehen können."
Faith war verwirrt, wie besonnen das Mädchen war. Benommen starrte sie auf den gezackten Metallsplitter auf dem Tisch. „Wieso war das in Nicholas' Kopf?"
„Durch eine Schrapnellverletzung, Miss", erklärte Stevens. „Bei einer solchen holen die Ärzte heraus, so viel sie können - der Rest bleibt entweder drinnen oder wächst von allein heraus. Dieses Stück muss den Chirurgen entgangen sein, als Capt'n Nick bei Waterloo verwundet wurde." Er schüttelte staunend den Kopf. „Wie die alte Dame das wissen, geschweige denn, es herausholen konnte, ist mir allerdings ein Rätsel."
Faith und Stevens reinigten die Wunde. Mit zweifelndem Gesichtsausdruck griff Stevens nach dem Topf, auf den das Mädchen gezeigt hatte. Er öffnete ihn. Anfangs roch er misstrauisch daran, doch schließlich hellte sich seine Miene auf. „Scheint das Richtige zu sein", murmelte er vor sich hin. Er verteilte die streng riechende Salbe auf der Wunde, bedeckte sie mit einer aus einem sauberen Tuch gefalteten Kompresse und verband den Kopf dann mit sauberem Leinen, so wie Estrellita es ihm aufgetragen hatte.
Mac hatte die alte Dame so gebettet wie von Estrellita gewünscht. Er half nun Stevens, Strohlager für die Nacht vorzubereiten. Die Hütte war winzig, und sie würden eng zusammenrücken müssen, aber alle wollten sowieso nahe bei Nicholas und Estrellitas Urgroßmutter bleiben.
Faith schlief auf dem Boden neben ihrem Mann und hielt seine Hand. Auf der anderen Seite des Bettes hatte Estrellita die Hand ihrer letzten Verwandten ergriffen.
Zwei Tage und zwei Nächte lagen Nick und die alte Frau wie im Koma. Es waren lange Tage und noch längere Nächte. Keiner von den anderen schlief gut in dieser Zeit.
Am zweiten Tag gingen Stevens und Mac auf die Jagd - um den Kochtopf zu füllen, wie sie behaupteten. In Wahrheit wurden sie langsam verrückt in dieser beengten Unterkunft, in der nichts anderes zu vernehmen war als das kaum hörbare Atmen
der zwei Personen auf dem Bett.
Am Abend des zweiten Tages erinnerte Morton Black Faith daran, dass er Briefe von ihrer Familie für sie mitgebracht hatte, und sie nahm sie dankbar entgegen. Sie las sie wieder und wieder, lächelte ein wenig, weinte viel und trug einzelne Abschnitte daraus den anderen vor.
In mancher Hinsicht waren die Briefe ihr ein Trost, andererseits vermittelten sie ihr das Gefühl großer Distanz. Die Sorgen ihrer Familie schienen einer anderen Welt anzugehören. Alles, was Faiths Welt ausmachte, lag schweigend und reglos auf diesem Bett.
Am Morgen des dritten Tages wachte Nicholas für kurze Zeit auf. Er murmelte etwas, und Faith eilte sofort zu ihm. „Nicholas, kannst du mich hören?"
Seine Lider flatterten, und er sah sie an, als versuche er klar zu denken. „Guten Morgen, Mrs Blacklock", sagte er leise und stockend, dann schloss er die Augen wieder und verfiel in einen natürlichen Schlaf.
„Guten Morgen, Mr Blacklock, einen wunderschönen, guten Morgen, mein Liebling", schluchzte Faith. Sie küsste sein Gesicht, seine Hände und wieder sein Gesicht. Den Rest des Tages blieb sie bei ihm und beobachtete ihn im Schlaf. Schließlich schlief sie selbst vor Erschöpfung ein, Hand in Hand mit ihrem Mann.
In der Abenddämmerung desselben Tages starb Estrellitas Urgroßmutter.
Die anderen merkten es erst, als ihre Urenkelin einen leisen Klagelaut von sich gab und sich das Gesicht mit Asche einrieb.
Faith begab sich augenblicklich zu ihr. „O Estrellita", sagte sie.
Die sah auf, ihr Gesicht wirkte im Feuerschein wild, wie das einer heidnischen Göttin. „Du hast versprochen, dass er sie nicht töten würde, aber er hat es getan. Er hat es getan!"
Faith verstand nicht gleich, worauf sie hinauswollte.
„In meinem Traum habe ich sie gesehen, mit Blut auf ihrer Brust und Blut an seinen Händen. Erinnerst du dich, Faith?"
Ihre Worte trafen Faith wie ein Keulenschlag. Sie hatte Estrellita
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