Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
müßt Ihr mir sagen, wer Ihr seid!»
«Ich bin tesserarius Licinius von den Palast- custodes . Und jetzt nennt mir endlich Euren Namen!» entgegnete der junge Mann, überrascht von dieser Antwort. Licinius konnte ein Gefühl des Stolzes nicht unterdrücken, war er doch erst vor kurzem befördert worden. In der alten kaiserlichen Armee war der tesserarius der Offizier, der vom General die schriftliche Tagesparole – die tessera , – bekam. Bei den custodes des Lateranpalasts bezeichnete dieser Titel den diensthabenden Wachoffizier.
«Ich bin Bruder Aon Duine», lautete die mit dem lispelnden Akzent eines Fremden vorgetragene Antwort. Dabei trat der Mann einen Schritt vor, so daß das flackernde Licht einer Fackel auf sein Gesicht fiel. Licinius bemerkte, daß der Fremde recht rundlich war und beim Sprechen keuchte wie jemand, der unter Atemnot litt oder kurz zuvor rasch gelaufen war.
Licinius musterte den Mann mißtrauisch und winkte ihn zu sich, um ihn besser in Augenschein nehmen zu können. Der Bruder hatte ein Mondgesicht und trug die in Rom unübliche Tonsur eines irischen Mönchs: Der vordere Teil seines Kopfes war völlig glattrasiert.
«Bruder ‹Eien-Dina›?» versuchte Licinius den Namen des Fremden auszusprechen.
Der Mann bestätigte lächelnd.
«Und was habt Ihr um diese Stunde hier zu suchen?» fragte der junge Offizier.
Der rundliche Mönch breitete beschwichtigend die Hände aus.
«Ich kam gerade aus meiner Studierstube, tesserarius », erklärte er und deutete auf die Tür, die hinter ihm lag.
«Seid Ihr drüben im kleinen Innenhof beim Gästehaus gewesen?» erkundigte sich Licinius und zeigte mit dem kurzen, breiten Schwert auf den dunklen Gang, aus dem er gekommen war.
Der mondgesichtige Mönch blinzelte ihn erstaunt an.
«Warum hätte ich dort gewesen sein sollen?»
Licinius seufzte verzweifelt.
«Weil ich jemanden durch diesen Gang verfolgt habe. Ihr wart es nicht?»
Der Mönch schüttelte den Kopf.
«Ich habe die ganze Zeit über an meinem Pult gesessen und meine Studierstube eben erst verlassen. Ich war gerade über die Schwelle getreten, als Ihr mich angesprochen habt.»
Licinius steckte sein Schwert in die Lederscheide zurück und strich sich verwirrt mit der Hand über die Stirn.
«Und Ihr habt auch sonst niemanden gesehen?»
Wieder verneinte der Mönch kopfschüttelnd.
«Niemanden. Bis Ihr mich aufgefordert habt, Euch meinen Namen zu nennen.»
«Dann verzeiht mir, Bruder. Ihr könnt in Frieden Eurer Wege gehen.»
Der rundliche Mönch neigte dankbar den Kopf, ehe er über den Hof davoneilte. Das Leder seiner Sandalen klatschte über das Pflaster. Rasch verschwand er durch einen der Rundbögen in die dahinterliegenden Straßen der Stadt.
Eine der Wachen vom Haupttor, ein decurion , kam über den Hof, um sich zu erkundigen, was vorgefallen sei.
«Ah, Licinius! Du bist es! Was war denn los?»
Der tesserarius machte ein ärgerliches Gesicht.
«Jemand hat sich drüben im kleinen Innenhof herumgetrieben, Marcus. Ich habe ihn bis hierher verfolgen können, dann aber ist er mir entwischt.»
Der decurion kicherte leise.
«Warum hast du ihn verfolgt, Licinius? Was ist verdächtig daran, daß sich jemand um diese oder irgendeine andere Stunde im kleinen Innenhof aufhält?»
Licinius schenkte seinem Kameraden einen verdrießlichen Blick. Im Augenblick haderte er mit der ganzen Welt und ärgerte sich vor allem darüber, daß er ausgerechnet heute abend zum Dienst eingeteilt worden war.
«Weißt du nicht, daß dort drüben das domus hospitale , das Gästehaus, liegt? Und Seine Heiligkeit hat ganz besondere Gäste: Bischöfe und Äbte aus den fernen sächsischen Königreichen. Ich wurde beauftragt, sie sorgsam zu bewachen. Es heißt, die Sachsen hätten Feinde in Rom. Und man hat mich strengstens angewiesen, jeden zu befragen, der sich auf verdächtige Weise den Gastquartieren nähert.»
Der andere custos schnaubte verächtlich.
«Und ich dachte immer, die Sachsen wären noch Heiden!» Er hielt inne und deutete in die Richtung, in die der Mönch verschwunden war. «Wen hast du da eben befragt? War das nicht dein Verdächtiger?»
«Das war ein irischer Mönch. Bruder ‹Eien-Dina› oder so ähnlich. Er kam gerade aus seiner Studierstube. Im ersten Augenblick dachte ich, er wäre der Mann, den ich verfolgt hatte. Wie dem auch sei, er hat niemanden gesehen.»
Der decurion grinste.
«Diese Tür führt zu keiner Studierstube, sondern zum Lagerhaus des sacellarius , des
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