Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
nicht mehr geschlafen.
Julia Sunce, sagte ich zu ihr, es ist Vollmond, wissen Sie, und der Himmel ganz ohne Wolken. Julia Sunce, dort oben strahlen die Sterne, man kann den Großen Wagen, die Pleiaden und den Kleinen Bären sehen. Julia Sunce, wissen Sie, die Pferde sind weggetrieben worden, und ich habe in der Nähe einen Gutshof gesehen, nur Asche, nur Schlamm, nur rauchende Trümmer sind übriggeblieben, verkohlte Balken, Julia Sunce, und ich glaube, sie haben sogar die Brunnen vergiftet.
Ich saß neben ihr und rauchte. Dann deckte ich sie zu.
Gute Nacht, Julia Sunce, sagte ich, und zündete mir wieder eine Zigarette an.
Am Morgen schoß ich ein Brakelhuhn. Es war ein verwildertes Tier, das zu einem der ausgebrannten Höfe gehört hatte, es liefen einige von der Sorte in der Gegend herum. Manchmal tauchten Schafe, Ziegen und Kühe auf. Oft kam auch ein Ziegenbock vorbei, er war zahm. Ich briet das Huhn und hielt es Julia Sunce vors Gesicht, vielleicht riecht sie den Braten. Auch wenn man nur schläft, essen muß man trotzdem. Langsam lösten sich ihre Lippen voneinander, und ihr Mund nahm den Bissen auf. Sie aß ein wenig, doch ihre Augen öffnete sie nicht.
Was ist mit Ihnen, Julia Sunce, fragte ich sie.
Ich sah ihren Zähnen beim Kauen zu. Auch die Zähne waren groß, große weiße Zähne, die langsam kauten. Am Nachmittag wusch ich sie und staunte über ihren Schoß. Denn er war so klein, unter einem kleinen Haarknäuel die Scham, so klein, daß ich gar kein Begehren verspürte. Mit lauwarmem Seifenwasser wusch ich sie am ganzen Körper. Julia Sunce atmete gleichmäßig weiter, eine schlafende Frau, ich hatte sie gefunden, ich war auf sie gestoßen, ich, der ich schon sechs Tage nicht geschlafen hatte, sechs oder sieben, ich weiß nicht.
Eines Nachts öffneten sich plötzlich ihre Augen. In der Scheune schien es heller geworden zu sein. Sie sah mich an, so schien es wenigstens, aber ich kenne solche Blicke, deshalb wußte ich genau, daß sie nicht sehen. Und wenn doch? Wenn ihr Blick sieht, dann sieht sie mich jetzt zum ersten Mal.
Beruhigen Sie sich, Julia Sunce, sagte ich leise zu ihr, ich bin nur ein Mann.
Ich werde Ihnen nichts tun, Julia Sunce.
Ich nenne Sie Julia Sunce, wenn es Ihnen nichts ausmacht.
Und als ich im Begriff war, meinen Namen zu sagen, schlossen sich ihre Augen langsam wieder. Ich habe ihren Blick, glaube ich, nie wieder gesehen.
Eines Tages entdeckte ich Mäuse auf ihr. Ich kannte Leute, die Mäuse mit einer einzigen Bewegung packten, zerquetschten und die leblosen Körper fortwarfen. Das gehörte nicht zu meinen Gewohnheiten. Wie man eine Fliege im Flug erwischt, so fing ich die Maus auf dem Bauch des Mädchens. Sie nagte an einem Knopf, ganz vertieft. Aber ich zerquetschte, ich zerdrückte sie nicht, ich hielt sie nur. Nach einer Stunde lebte sie nicht mehr. Ich konnte ruhig meine Hand öffnen und sie auf den Boden lassen. Nach der sechsten Maus kam keine mehr.
Ich trug Julia Sunce in die Sonne hinaus. Damit sie auch mit dem Wind, ein wenig frischer Luft in Berührung kommt und Licht in ihr Haar dringt. Und als ich um mich blickte, hatte ich plötzlich ein Bedürfnis nach Krach, nach dem beißenden Geruch von Schießpulver, nach Explosionen. Ich legte mich neben sie und schoß ein paarmal zwischen die Bäume. Ich hatte auch noch ein paar Handgranaten übrig, eine warf ich hinter die Weißdornbüsche, die neben dem Auslauf wucherten. Die Erschütterung tat gut, das Beben der Bäume und Sträucher, und dann die ringsum versickernde, beunruhigende Stille. Eine Rauchwolke stieg von der Erde auf, wie eine Seele.
Da hatte ich schon einen Monat nicht geschlafen, glaube ich, und es war, als würde ich doch schlafen. Dir ist schwindelig, als könntest du nie wieder nüchtern werden. Ich dachte, glaube ich, auch darüber nach, was wichtig ist. Dort steht ein Baum mit seiner mächtigen Krone, eine alte Buche, Käfer kriechen auf seinem Stamm, eine richtige Straße führt aus der Erde unter seine Rinde und zurück, ein Vogel kreist am Himmel, ein Seeadler, glaube ich. Es ist warm, aber die Abende werden zunehmend kälter. Die Sache ist die, und das ist nicht schlecht, zumindest nicht unbedingt, daß nichts zu dir gehört. Es gibt keine Verantwortung, weil man keine Verantwortung übernehmen kann. Nur Julia Sunce, könnte man sagen, störte in dem Ganzen, eine schlafende Frau, die nicht einen Funken Bereitschaft zeigt, aufzuwachen. Wenn es sie nicht gäbe, würde ich, glaube ich, eines
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