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Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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hatte viele Jahre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der University of Knoxville Sozialarbeit gelehrt; vor einiger Zeit hatte er sich zur Ruhe gesetzt, hatte dann jedoch eine Stelle beim Sozialdienst im Büro der Pflichtverteidiger angenommen. Die Mandanten der Pflichtverteidiger waren der krasse Gegensatz zu den gut betuchten Kriminellen, die Burt DeVriess gemeinhin vertrat. Rogers Arbeit brachte ihn täglich in Berührung mit Menschen, die arm waren, arbeitslos und oft beeinträchtigt durch Alkohol, Drogen oder psychische Krankheiten, Menschen, die – in den letzten Jahren zu Tausenden – durch die immer weiter werdenden Maschen des amerikanischen Sicherheitsnetzes fielen. Die Herausforderungen, denen Roger und seine Kollegen sich stellten, kamen mir hart und unüberwindlich vor, doch lag diese Härte im Auge des Betrachters: Im Laufe der Jahre hatte ich – stets zu meiner Überraschung – mit vielen Menschen gesprochen, die meine Arbeit ebenfalls als hart empfanden. Seit er im Büro der Pflichtverteidiger arbeitete, hatte ich Roger ein paar Mal gesehen und den Eindruck gewonnen, als erfüllte es ihn mit neuer Energie, Programme und Dienstleistungen zu entwickeln, mit deren Hilfe verhindert wurde, dass mittellose Mandanten durch Armut, Kriminalität und Haft in der Spirale immer weiter nach unten gerieten.
    Einige Minuten erzählten wir uns das Neueste, wie langjährige Kollegen und Freunde es tun, wenn sie ein Jahr oder länger nicht miteinander gesprochen haben. Wir tauschten Lageberichte über unsere erwachsenen Kinder aus und spekulierten über die Aussichten des Football-Teams der Universität für die kommende Saison – ungewiss, da waren wir uns einig, angesichts der Tatsache, dass viele wichtige Spieler im Frühjahr ihren Abschluss gemacht hatten. Roger erwähnte weder den Mord an Jess noch Garland Hamiltons Flucht, und dafür war ich ihm dankbar, obwohl ich das Thema selbst zur Sprache bringen wollte. Indem er es mir überließ, das Gespräch zu lenken, erlaubte er mir, die Dinge eher forensisch zu formulieren als persönlich, und das machte es mir leichter. »Roger, Sie wissen mehr über Wohnungslosigkeit und Menschen, die in Knoxville auf der Straße leben, als irgendjemand anders in der Stadt«, begann ich.
    »So weit würde ich nicht gehen«, sagte er, »aber ich könnte Sie wahrscheinlich einige Stunden mit Statistiken langweilen.« Diese Bescheidenheit war typisch für Roger – auf Anfrage des Stadtbürgermeisters und der County-Verwaltung hatte er eine Zehn-Jahres-Studie über Wohnungslosigkeit geleitet, und seine Forschungsgruppe hatte einen ambitionierten Plan entwickelt, um das Problem an der Wurzel zu packen.
    »Wenn ich eine Leiche bräuchte«, sagte ich, »wäre es dann leicht, einen Obdachlosen umzubringen, ohne erwischt zu werden?«
    Zuerst sagte er eine Weile gar nichts; und als er dann antwortete, klang er bestürzt, ja sogar schockiert ob der Abgebrühtheit der Idee oder der Unverblümtheit meiner Frage. »Darüber muss ich kurz nachdenken«, sagte er schließlich.
    »Ich frage aus folgendem Grund«, sagte ich. »Im osteologischen Labor unter dem Stadion habe ich zwei verbrannte Skelette. Wir wissen, wer Skelett Nummer eins war – ein Typ namens Billy Ray Ledbetter. Skelett Nummer zwei könnte Garland Hamilton sein.« Falls Roger verdutzt war über das, was ich sagte, ließ er es sich nicht anmerken. Vermutlich hatte er es bereits in der Zeitung gelesen. Ich beschrieb ihm, was wir im Keller der Hütte in Cooke County gefunden hatten – ein Skelett, das vor dem Brand mazeriert gewesen war, und ein zweites Skelett, das eindeutig von einer frischen Leiche stammte. »Wir denken … und ich hoffe sehr«, räumte ich ein, »dass Hamilton ums Leben gekommen ist, als er versucht hat, mit Hilfe von Billy Rays Skelett seinen Tod vorzutäuschen. Doch wir haben Probleme mit einer positiven Identifikation. Vielleicht ist Skelett Nummer zwei aber auch nicht Hamilton … Vielleicht ist es eine Doppelfinte. Können Sie mir folgen?«
    »Gerade mal so«, sagte er. »Wir Sozialarbeiter sind nicht ganz so hintenherum wie ihr Forensiker. Wir neigen eher dazu, uns zu überlegen, wie man Menschen retten kann, weniger, wie man sie umbringt.«
    »Normalerweise denke ich auch nicht in solchen Bahnen«, sagte ich. »Ich versuche nur, wie Hamilton zu denken, und das ist nicht leicht, denn er ist entweder psychotisch oder durch und durch böse. Doch ich hoffe, Sie können mir sagen, ob ein Obdachloser

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