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Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Tische wurden in einer Reihe hinter den Stuhlreihen aufgestellt und von einem zweiten Trupp Hilfskräften mit professionellen dampfbeheizten Theken, Hunderten von Erfrischungsgetränken sowie Bergen von Sandwiches und Kartoffelchips bepackt.
    »Das ist ja unglaublich«, sagte ich zu Roger. »Wenn das U.S.-Militär mit solcher Geschwindigkeit und Konzentration vorginge, hätten wir im Irak in einer Woche die Kurve gekratzt.«
    Er nickte.
    Aus einem Topf wehte mir der Geruch von Rindereintopf in die Nase, und es duftete besser als alles, was ich mir diese Woche in die Mikrowelle geschoben hatte. Aus allen Richtungen bewegte sich eine bunt zusammengewürfelte Menschenmenge auf die Tische mit dem Essen zu: Mehrere Dutzend, dann Hunderte kamen aus den Sträuchern, von den Eisenbahnschienen, von den Gehwegen und aus den Straßen und stellten sich ordentlich in einer Schlange auf. Eine der Ersten war eine junge Frau mit zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen, etwa so alt wie meine Enkelsöhne. Die Mutter und ihre Kinder schienen sauber und gesund zu sein, doch sie hatten einen wachsamen, müden Blick, selbst die Kinder, und das machte mich traurig – sie so früh im Leben schon so niedergeschlagen zu sehen. Hinter ihnen in der Schlange stand ein Mann, der sich mit ungleichmäßigen, schlurfenden Schritten vorwärtsbewegte und dessen Kopf und rechter Arm regelmäßig zuckten, während er ohne Unterlass vor sich hin murmelte, entweder zu sich selbst oder zu einem unsichtbaren Gefährten.
    Eine Lautsprecheranlage ging knisternd an, und ich hörte eine Frau, die sich über den Straßenlärm als Maxine Raines vorstellte, Gründerin des Lost Sheep Ministry. Sie zitierte einen Passus aus der Bibel – »Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand; sondern gedenke seiner in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen« – und fuhr dann mit einer Auslegung der Stelle fort. Maxine war selbst einst obdachlos gewesen, erklärte Roger mir. Ihre kurze Predigt machte deutlich, dass sie fest daran glaubte, Gott habe sie genau an diesen Ort geführt, genau zu diesem Programm, damit sie unter der Interstate-Brücke Kleidung und Essen ausgebe. Roger zufolge teilten nicht alle Maxines Vision – einige Sozialarbeiter waren nicht besonders begeistert über Lost Sheep und ähnliche kirchlich orientierte Sozialprogramme, weil sie die Leute ihrer Ansicht darin unterstützten, sich vor Arbeitssuche und Eigenverantwortung zu drücken. Doch was für eine Arbeit, überlegte ich, sollten einige dieser verlorenen und gebrochenen Seelen ausüben?
    Maxine reichte das Mikrofon einem jungen Mann, der – seinem eigenen Bericht nach – einst einer von Knoxvilles größten Drogenhändlern gewesen war, bevor er Gott gefunden und in seinem Leben aufgeräumt hatte. Ihm folgte eine Sängerin – eine hübsche junge Frau mit langem, braunem Haar, einer akustischen Gitarre und der lieblichen, schlichten Stimme einer Folksängerin. » When the music fades «, sang sie, » I simply come longing to bring something that’s of worth , that will bless your heart .« Ich war mir nicht sicher, wie viele Menschen dem Text folgten – die meisten schienen sich mehr dafür zu interessieren, was sie auf dem Büfett und auf den Tischen mit Männer- und Frauenkleidung sowie rezeptfreien Medikamenten erwartete –, aber vielleicht waren die Worte auch nicht der wichtigste Teil der Botschaft. Ich dachte an die Widmung auf der Gedenktafel für Jess auf der Body Farm – Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe –, und ich bewunderte das Mitgefühl dieser Armee von über hundert Freiwilligen, selbst wenn sie nur Symptome behandelten, statt die eigentlichen Ursachen für Obdachlosigkeit zu bekämpfen.
    Fast so rasch, wie er begonnen hatte, fand der Gottesdienst – sowie die Mahlzeit und die anderen Angebote – ein Ende. Die letzten Nachzügler erhielten eben noch ihre Rationen Eintopf, Schuhe und Aspirin, da machten sich die ersten Helfer schon daran, Stühle und Tische wieder zusammenzuklappen und zu verstauen. Die Teller mit Essen waren von fünfhundert Menschen leergeputzt worden, und die Menschenmenge zerstreute sich wieder in Richtung der Obdachlosenheime und Brücken und Camps am Bachufer, wo sie sich in dieser speziellen Nacht zur Ruhe betten würden. Einer der Letzten, der wegging, war der zuckende, murmelnde Mann, den ich ziemlich am Anfang der Essensschlange gesehen hatte. Als er sich den Bäumen am Rand der

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