Eine Hand voll Asche
schwarzen Feld, umrahmt von den an bleiche Knochen gemahnenden Ästen. Als das Nachbild verblasste und meine Augen wieder normal wurden, war alles, was ich sehen konnte, mein Spiegelbild im Küchenfenster, neben mir die Petroleumlampe, die ominöse Schatten in meine Augenhöhlen warf. Ich sah nicht aus wie jemand, dem ich gerne in einer finsteren Gasse begegnet wäre.
Ich setzte mich an den Tisch, nahe der Lampe, und neigte und drehte den Kopf so lange, bis die Schatten um meine Augen verschwunden waren. Als sich der unheimliche Ausdruck schließlich verflüchtigt hatte, richtete ich den Blick auf die Lampe selbst. Der Baumwolldocht kam aus einem Schlitz in einer kleinen halbkugelförmigen Kappe; auf einem dünnen Stift in der Kappe steckte ein kleiner sechseckiger Knopf, und wenn man den Knopf drehte, konnte man den Docht mittels in der Kappe verborgenen Zahnrädern hoch- oder runterdrehen. Ich drehte den Docht langsam hinunter und schaute zu, wie er allmählich verschwand, wie Sand, der durch den engen Hals eines Stundenglases rieselt, wenn die Zeit abläuft. Als der Docht in dem schmalen Metallschlitz zwischen dem Ölbehälter im Fuß der Lampe und dem Glaszylinder zu verschwinden drohte, schrumpfte die Flamme zu einem blassblauen Flackern an den verkohlten Rändern des Baumwollgewebes zusammen. Ich drehte den Knopf in die andere Richtung, und der Docht stieg langsam höher, die Flamme blühte wieder strahlend gelb auf, die Ränder so scharf und solide wie der Rand des Vollmonds. Wie kommt es , überlegte ich, dass etwas , was so unbestimmt ist wie brennendes Öl , so fest aussehen kann? Warum ist es nicht ausgefranst und flackernd wie die Flammen in einem offenen Kamin oder einem Lagerfeuer? Warum gibt es keinen verschwommenen Übergang vom Glühen zum Nicht-Glühen? Und warum ist mein Leben nicht mehr so klar umrissen und so ordentlich abgegrenzt?
Ich hob die Petroleumlampe an ihrem schmalen Hals hoch, wo der Metallkragen und der Dochtmechanismus an den Glasfuß geschraubt waren. Das Öl schwappte in dem durchsichtigen Behälter. Der Docht – ein flaches, gewebtes Baumwollband – bewegte sich wellenförmig in der Flüssigkeit, wie ein in Alkohol konservierter Bandwurm. Der Hals der Lampe fühlte sich dünn und zerbrechlich an, und aus Furcht, die Lampe würde in meiner Hand zerbrechen und das Glasunterteil und sein brennbarer Inhalt würden auf den gefliesten Fußboden in der Küche krachen, zwang ich mich, den Griff etwas zu lockern. Ich geisterte im Lampenschein durchs Haus, wie ein ruheloser Geist aus einer Geschichte, die man sich am Lagerfeuer erzählt, und überprüfte alle Türen nach draußen, um mich zu vergewissern, dass sie ordentlich verschlossen waren. Dann ging ich ins Schlafzimmer, machte die Tür hinter mir zu und setzte mich, den Rücken ans Kopfteil gestützt, auf das Bett. Die Petroleumlampe stellte ich auf den Nachttisch neben mich und schob ihr elektrisches Pendant ganz nach hinten, um Platz zu machen. Dann zog ich die Nachttischschublade auf, nahm die Waffe heraus, die Steve Morgan mir geborgt hatte, und betrachtete sie eingehend: die in den Griff geprägten winzigen blauschwarzen Pyramiden, die sachlichen Wörter und Zahlen auf dem Lauf, den kleinen, präzisen Sicherungshebel, den ich in einem hypnotischen Rhythmus vor- und zurückknipste, ein und aus, fast so regelmäßig wie das Ticken einer Uhr.
Auf diese Weise vertrieb ich mir die Zeit, bis blassgraues Licht durchs Fenster sickerte, das die Spiegelung der brennenden Lampe langsam auslöschte. An seine Stelle traten Regentropfen und kleine Fetzen zerrissener Blätter auf der Außenseite der Fensterscheibe.
33
Das Anthropologische Institut war abgeschlossen und dunkel, als ich kam, nicht verwunderlich an einem Sonntagmorgen um acht Uhr. Ohne zu duschen oder meine zerknitterten Kleider zu wechseln, war ich in meinem Wagen über die schmale Zufahrtsstraße gefahren, die die Basis des Stadions umkreiste, und hatte unten an der Treppe neben dem Knochenlabor geparkt. Drinnen schaltete ich die Neonröhren an der Decke ein und dann aus einem Impuls heraus wieder aus. Die Träger des Stadions und die schmutzigen Fenster ließen genug Licht herein, um mich durch das Labor zu leiten, und für das, was ich vorhatte, war Halbdunkel besser geeignet als grelles Neonlicht.
Die Leuchtplatte war noch eingesteckt, und das Röntgenbild von Freddie Parnells Schädel lag noch auf dem Milchglas. Ich schaltete die Lampe ein, und der gespenstische
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