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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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in den Papierkorb warf. Nach vier oder fünf Versuchen setzte ich einen braven, vielleicht sogar mäßig lustigen Brief auf. Brav, mäßig lustig und nichtssagend.
    Mäßig und kontrolliert. Ohne Risiko. Scheiße.
    Ich sagte mehr oder weniger die Wahrheit, schob alles auf meine Befangenheit. Aber distanziert, ohne mich zu offenbaren. Ohne etwas zu riskieren, genau wie in jener Nacht.
    Genau wie immer.
    Ich habe nie mehr etwas von Claire gehört.

    »Eine schöne Geschichte. Ich werde wohl nie erfahren, ob sie wahr ist oder ob du sie dir nur ausgedacht hast.«
    »Da hast du recht. Das wirst du nie erfahren.«
    »Ich habe ein Alkohol-Problem, aber das hast du vielleicht bemerkt.«
    Ich nickte wortlos. Klar hatte ich es bemerkt, und dem war nichts hinzuzufügen.

    »Ich weiß nicht mehr, wie es begann. Ich meine, Wein und Bier, ein Glas von Zeit zu Zeit, das habe ich immer gern gemocht. Aber seit zwei Jahren trinke ich oft ein wenig mehr – heute wesentlich mehr – und manchmal habe ich das nicht besonders angenehme Gefühl, dass ich das brauche.«
    »Es macht die Angst erträglicher«, sagte ich. Er sah mich eine Weile an, sichtlich erstaunt darüber, dass ich den Grund kannte.
    Als er antworten wollte, drehte der Wind, und wir wurden von einem Sprühregen erfasst. Deshalb erhoben wir uns, bevor ein weiterer Windstoß uns erwischte, und setzten uns in Bewegung, Richtung Via Sparano und Grünanlage der Piazza Umberto. Die früher Piazza Roma hieß oder einfach Der Garten . Das war früher der Treffpunkt der extremen Linken gewesen, später der Autonomen und der Punks, und in den Siebzigerjahren ein Ort, von dem sich die Faschisten fernhielten. Heute trafen sich dort junge Afrikaner, die ihre Waren anboten und die Mädchen aus Bari kennenlernen wollten.
    Einer der schönen Aspekte dieser Stadt ist, dass es hier keinen Rassismus gibt.
    »Dann weißt du also, was Angst ist? Verrückt, soll das etwa heißen, dass auch du alt wirst?«
    »Das scheint die einzige Methode zu sein, um nicht jung zu sterben.«
    »Ich fürchte, ich werde sentimental – vor allem, wenn man bedenkt, was ich vorher zu dir gesagt habe -, aber jetzt merke ich, dass ich doch gern etwas von dir lesen
würde. Morgen am Flughafen kaufe ich mir eines deiner Bücher, um zu sehen, ob ich meine Rezension umschreiben muss.«
    Wir gingen durch die menschenleere Via Sparàno. Dieser Teil der Stadt war als erster zur Fußgängerzone erklärt worden. Ich war damals neun oder zehn Jahre alt und sehr begeistert von dieser Neuigkeit. Es war großartig, fand ich, nicht mehr auf den Gehsteig verbannt zu sein, nicht mehr auf die Autos achten zu müssen, auf die Lieferwagen, die Motorräder. Es war großartig, frei – mitten auf der Straße – zu laufen, und das war eines der wenigen Male in meiner Kindheit gewesen, wo ich stolz auf meine Stadt war.
    »Gehen wir zu Hause vorbei«, sagte ich. Wir kamen zur Haustür und ich sagte, er solle eine Minute auf mich warten, ich müsse etwas holen. Er nickte, ohne Fragen zu stellen.
    Als ich wieder herunterkam, hatte ich ein Exemplar meines ersten Romans in der Hand.
    »Das schenke ich dir. Wenn es dir gefällt, kannst du dir ja die anderen kaufen.«
    Er sah mir direkt in die Augen. Ich erwiderte den Blick, und in jenem Moment wurde mir klar, dass unsere Jugend endgültig vorbei war. Doch gleichzeitig erschien es mir, als würde sie zu etwas Ewigem, etwas, was uns keiner mehr wegnehmen konnte. Das war eine der seltsamsten Empfindungen meines Lebens: Trauer und Jubel zugleich. Ich fühlte mich lebendig und dankbar, es zu sein, und ich bin sicher – obwohl ich keine Beweise dafür habe -, dass er das Gleiche empfand.

    »Du musst mir etwas ins Buch schreiben«, sagte er schließlich.
    »Eine Widmung, meinst du?«
    »So etwas wie eine Widmung, ja.«
    »Die steht schon drin.«
    Da schlug er das Buch auf, las, was ich hineingeschrieben hatte, und machte es ganz vorsichtig wieder zu, so, als enthielte es einen zerbrechlichen kleinen Gegenstand. Nachdem er das Buch in die Tasche gesteckt hatte, rieb er sich wieder das Gesicht, wie vorher, mit beiden Händen, als wollte er etwas Hartnäckiges, Unsichtbares daraus entfernen.
    »Deine Schrift hat sich verändert«, sagte er.
    »Ja, seit ein paar Jahren schon.«
    »Man sagt, dass das etwas zu bedeuten hat, wenn die Schrift sich verändert.«
    »Das habe ich auch gehört. Meinst du, das stimmt?« Er wartete eine Weile, als dächte er über meine Frage nach und suche nach der richtigen

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