Eine Nacht in Bari
roch, nach Äpfeln, und wie ihr Körper an meinem lag, Zentimeter um Zentimeter. Als wir uns verabschiedeten, gab sie mir einen Kuss auf die Wange und mir wurde schwindlig vor Glück; in der darauffolgenden Nacht konnte ich nicht schlafen und dachte, dass wir uns verloben würden – vielleicht nicht gleich, ich hatte es nicht eilig -, aber doch später und dass wir dann heiraten und für immer zusammenbleiben würden.«
Ich machte eine Pause, um Atem zu schöpfen und meine eigene Verwunderung über das, was ich erzählte, zu verstehen. Ich widmete auch der traurigen, dicken Frau, zu der dieses Mädchen geworden war, einen kurzen Gedanken, den ich aber schnell wieder verwarf. Das hatte nichts mit dieser Geschichte zu tun.
»Also, diesen Nachmittag würde ich gern noch einmal erleben. Und weißt du, warum?«
»Warum?«
»Weil er zu den wenigen Malen in meinem Leben gehört, an denen ich wirklich glücklich war und mir dessen auch bewusst war.«
Er nickte ernst, um mir zu verstehen zu geben, dass er tatsächlich verstand, was ich sagte.
»Vielleicht könntest du versuchen, weniger zu trinken«, sagte ich nach ein paar Minuten.
»Ich dachte gerade dasselbe«, sagte er, und jetzt nickte
ich ernst, als hätten wir eine Vereinbarung getroffen, der nichts hinzuzufügen war.
Fünf Minuten später saßen wir auf der Kühlerhaube seines Autos, jeder mit einem Stück warmer, öliger, knuspriger, duftender Focaccia voller Tomaten und Oliven in den Händen. Die beste der Stadt, wie wir bei einem Vergleich vor vielen Jahren entschieden hatten. Auf diesem Gebiet schien sich nicht viel geändert zu haben.
Wir aßen schweigend auf, auch das letzte Stückchen Tomate, das am Papier festgeklebt war. Dann säuberten wir unsere Hände an unseren Jeans, genau wie früher.
Der Himmel hatte sich aufgehellt. Es war jetzt nicht mehr Nacht, aber auch noch nicht Tag.
Paolo holte das Buch, das ich ihm vorher gegeben hatte, aus der Tasche. Er schlug es auf und las die ersten Worte, oder auch die ersten Zeilen.
»He, das ist gar nicht schlecht. Macht Lust, weiterzulesen.«
»Vielleicht vertreibst du dir damit die Zeit auf der Reise?«
»Die Zeit vertreiben …«
»Ein idiotischer Ausdruck, du hast recht. Die Zeit vergeht von selber, man muss sie nicht vertreiben. Sie braucht unsere Hilfe nicht.«
Dann machte er das Buch zu und las laut den Titel, meinen Namen, und seine Stimme hing in der Luft wie ein Schlussakkord, unerwartet und doch perfekt.
»Na, dann bis zum nächsten Mal.«
»Bis zum nächsten Mal, ja.«
»Dann tschüss«, sagte er.
»Tschüss«, antwortete ich, legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie ein paar Sekunden.
Dann gingen wir auseinander.
Er in die eine Richtung, ich in die andere.
Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
»Né qui né altrove. Una notte a Bari« bei Editori Laterza & Figli, Roma-Bari
Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2010
Copyright © der Originalausgabe 2008 by Gius. Laterza & Figli
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlagmotiv:
(getty images) David Tomlinson/Lonely Planet Images
Redaktion: Almut Werner wi ∙ Herstellung: Str.
eISBN : 978-3-641-03928-8
www.goldmann-verlag.de
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