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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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Kannibalen
     
    Hinten im verwilderten Garten, an der Grenze zur Bienenweide, waren die Kinder in ein aufgeregtes Spiel verwickelt, dessen Regeln sie sich nach und nach ausdachten. Verschwitzt jagten sie einander im mannshohen Gesträuch hinterher. Im Weg hängende Zweige schlugen sie mit den Kochlöffeln zur Seite, die sie in der Küche gefunden hatten. Trotzdem waren sie mit Schrammen und Brennnesselpusteln übersät.
    Die vier Mädchen waren im Vorteil: Sie kannten das Gelände. Sie wussten genau, wo Schleichwege waren und wo man sich am besten verstecken konnte. Laurens’ Jungen mussten regelmäßig die Verfolgung abbrechen, um sich verwirrt umzuschauen, die Ohren auf ein Kichern aus dem Gebüsch gespitzt. Keuchend hielten sie einander an der Hand. Niels, der Ältere der beiden, beruhigte seinen kleinen Bruder immer wieder nervös. Wir gewinnen. Wir gewinnen ganz bestimmt.
    Auf der Terrasse beim Haus saßen ihre Eltern schon seit dem Mittagessen und redeten mit der Entspanntheit von Menschen, die alle Zeit der Welt haben, über dies und das und jenes. Es war warm, und sie füllten immer wieder ihre Gläser. Timo blieb bei Wasser. Er müsse, wie er wiederholt sagte, vor Einbruch der Dunkelheit noch ein Bienenvolk vom Korb in den Kasten umsiedeln, und Alkoholdunst mache die Bienenganz irre. Seine Frau Gwen trank Saft, da das Baby noch gestillt wurde. Nur Laurens hatte sich an den Weißwein gemacht.
    Sie saßen in ihren kurzen Hosen auf wackligen Holzstühlen um einen Tisch, der früher etwas weit Würdigeres und alles andere als ein Gartentisch gewesen war. Gegen die neue Rolle im Freien protestierte die Tischplatte, indem sie tückische Krater aufwarf. Auch die Tischbeine beteiligten sich nach Kräften: Strich man mit nackter Haut daran entlang, riss man sich unweigerlich Splitter ein. Sogar das scheinbar samtweiche Moos, das unter dem Tisch aus den Fugen zwischen den Terrassenfliesen hervordrang, hatte etwas Störrisches, ja beinahe schon Aggressives. Und im ungemähten Gras schlossen vergessene Stofftiere und Plastikpuppen drohend die Reihen.
    Ach, Quatsch! So war es bei Timo und Gwen doch von jeher gewesen: eine Lotterwirtschaft eben. Efeu wuchs hier ungehindert in den Dachrinnen, auf den Fensterbänken standen vertrocknete Blumensträuße, Zeitschriften hingen über Stuhllehnen, und wo man auch hintrat, knirschte oder klebte irgendetwas unter den Füßen, verstreuter Zucker, Kuchenkrümel, zerquetschte Rosinen, eine mit Staubflocken panierte Olive. Gwen und Timo kümmerte das nicht. Vielleicht war das ja eines der Geheimnisse einer langen und guten Ehe: dass man Nebensächliches nebensächlich sein lassen konnte.
    Es war nur ein beiläufiger Gedanke, doch bei Laurens löste er ein Gefühl mörderischer Einsamkeit aus.
    Ihm gegenüber schraubte Timo gerade wieder die Mineralwasserflasche auf. Er kam erneut auf seine Bienen zu sprechen. Dabei redete er so schnell, dass er fast über die eigenen Worte stolperte. Wie ein eifriger kleiner Junge, der ein Referat hielt. Irgendwie war Timo auch noch ein Kind, hatte dieses unversieglich Begeisterte, Verwunderte auch, eines Sechsjährigen. Selbst bei starkem Gegenwind radelte er noch fröhlich pfeifendam Kanal entlang. Ein pfeifender Mann auf dem Fahrrad am Wasser, das blonde Haar im Wind wehend: Er könnte sofort in einem Werbefilm des Fremdenverkehrsamtes auftreten.
    Dankbar für die Ablenkung hörte Laurens ihm zu und nickte von Zeit zu Zeit, um sein Interesse zu bekunden. Derweil studierte er die verblühten Rhododendren, die von den Schnecken angefressenen Lupinen, die Maulwurfshügel im Gras. Deren Timo-Sorglosigkeit und Gwen-Lakonie. Er fühlte sich schon wieder ein wenig besser. Vielleicht sollte er einfach noch ein Glas Wein trinken, dann konnte er über alles lachen. Auf dem sonnenbeschienenen Tisch stand die Flasche griffbereit im Kühler. Aber mit Alkohol musste man vorsichtig sein, als Gast hatte man Anstand zu wahren. Bei diesem Gedanken lebte die Erinnerung an seinen Ausbruch beim Mittagessen wieder auf. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können. Abrupt stand er auf, beschämt und verärgert über sich selbst.
    Unsicher lächelte Gwen ihm unter ihrem verschwitzten blonden Pony zu. »Was ist denn auf einmal in dich gefahren?« »Mal eben schauen, was die Kinder aushecken.«
    »Die werden sich schon nichts antun«, sagte Timo.
    »Jetzt lass Laurens sich doch mal die Füße vertreten, Mensch«, entgegnete Gwen. »Gib ihm ein Weilchen frei. Du

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