Eine unberührte Welt - Band 2 (German Edition)
mitbekommen haben …«
»Die Artikelserie über al-Qaida? Zum Jahrestag des 11. September? Klar. Kenne ich. Habe ich aufbewahrt.«
Der Chefredakteur seufzte ein zweites Mal. »Nun – wir hatten nicht beachtet, dass ›Usama Bin Laden‹ und ›al-Qaida‹ damals schon in den USA eingetragene Marken waren. Was uns das an Strafen, Gerichtskosten, Anwaltshonoraren und Lizenzgebühren gekostet hat, wollen Sie nicht wissen, glauben Sie mir.«
»Sie meinen, Sie mussten Gegendarstellungen bringen?« Der junge Reporter schnappte nach Luft. »Von Usama Bin Laden? «
»Keine Gegendarstellungen.« Der Chefredakteur schüttelte betrübt das Haupt. »Das wäre ja Presserecht. Nein – wir durften überhaupt nichts bringen. Das ist Markenrecht. Das neue jedenfalls.«
»Aber …« Sein junges Gegenüber verstand die Welt nicht mehr. »Aber das ist doch amerikanisches Recht! Was geht uns das an?«
Der Chefredakteur schob die Ausdrucke des Artikels wieder zusammen. »Ich wollte es erst auch nicht glauben, aber in den letzten Jahren ist es anscheinend üblich geworden, dass irgendwelche Länder sich anmaßen, ihr Recht auf der ganzen Welt durchzusetzen. Jedenfalls hat mich der Herausgeber angerufen und zur Schnecke gemacht, und er wiederum ist vom Premierminister angerufen und zur Schnecke gemacht worden, und deshalb« – er reichte die Papiere über den Tisch – »wird kein Artikel über Terrorismus mehr in diesem Blatt erscheinen, solange ich auf mein Gehalt angewiesen bin.«
»Aber das ist ja …« Der junge Mann war blass vor Entrüstung. Ach, die Jugend und ihre Ideale! So war er auch einmal gewesen. »Und was ist mit der Pressefreiheit? Unserem Informationsauftrag? Der Presse als vierter Gewalt?«
»Ich schlage vor, Sie denken jetzt erst einmal darüber nach, inwieweit Sie auch auf Ihr Gehalt angewiesen sind«, entgegnete der Chefredakteur. »Und dann schreiben Sie den Artikel noch einmal. Und das alles bis siebzehn Uhr, wenn möglich.«
Der junge Mann schluckte. Sven Söderström war den Unterlagen zufolge frisch verheiratet und hatte einen fünf Monate alten Sohn. »Aber was soll ich denn schreiben über die Hintergründe der Tat?«, fragte er schließlich.
»Schreiben Sie einfach«, riet ihm der Chefredakteur, »dass der Täter vermutlich geistesgestört war.« Er verzog das Gesicht. »Das ist ja zumindest nicht falsch.«
* * *
Einige Monate später erhielt Eduard E. Waits einen Anruf des Terroristenführers, über eine Telefonleitung von bemerkenswert guterQualität, wenn man bedachte, über wie viele Satelliten und Zwischenschaltungen sie gehen musste.
»Mister Bin Laden!«, rief der Anwalt. »Wie geht es Ihnen? Haben Sie die Gelder erhalten?« Er hatte den komplizierten Finanznetzwerken der Terrororganisation inzwischen einen dreistelligen Millionenbetrag an Entschädigungszahlungen anvertraut.
»Ja, ja, das hat alles funktioniert. Deswegen rufe ich nicht an; Geld haben wir sowieso mehr als genug«, erklärte der Anrufer. »Es geht um das, was Sie tun. Ich habe gehört, dass Sie neuerdings auch Zeitungen verklagen, wenn die bloß das Wort ›Terror‹ oder ›Anschlag‹ verwenden –«
»Richtig. Das ist notwendig, um Ihre Marke zu schützen«, bestätigte der Anwalt. »Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie aufgeweicht wird, wie man sagt, und verloren geht. In Ihrem Fall ist es so, dass Sie als weltweit führende Terrororganisation als hauptsächliche gestalterische Kraft dieser Art Unternehmungen zu betrachten sind, sodass hier bereits das Urheberrecht greifen muss, um Ihre Investitionen in dieses Gebiet und Ihr geistiges Eigentum an den zugrunde liegenden Konzepten und Verfahrensweisen zu schützen. Oder einfach gesagt: Wenn es Sie und Ihre Organisation nicht gäbe, wären Terroranschläge aller Art viel weniger berichtenswert und damit gewinnsteigernd, als sie es heute sind – unabhängig davon, ob ein Anschlag im Einzelfall von Ihren Leuten ausgeführt wurde oder nicht.«
»Das ist verrückt«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung.
»Das ist amerikanisches Recht«, erwiderte Edward E. Waits.
»Hören Sie, so habe ich mir das nicht vorgestellt«, kam es aus dem Hörer. »Die meisten Zeitungen und Fernsehsender wagen es inzwischen überhaupt nicht mehr, über die Hintergründe unserer Aktionen zu berichten. Das macht alles sinnlos. Was bringt es, Dutzende von Leuten in die Luft zu sprengen, wenn nachher niemand davon erfährt?«
»Wieso? Man erfährt es doch. ›Explosion in Kandahar
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