Eine unberührte Welt - Band 2 (German Edition)
worden zu sein. Er glaubt, dass Sie ihm Ihren Plan einzig und allein deshalb unterbreitet haben, um Geld zu verdienen.«
Eduard Earnest Waits nickte gelassen. »Auch das habe ich mir gedacht.«
»Ich soll Ihnen darüber hinaus sagen, dass …« Der alte Mann zögerte. »Sind wir hier unter uns?«
Eduard Earnest Waits nickte wieder. »Sie können ganz offen sprechen. Nichts, was in diesem Raum gesprochen wird, verlässt ihn. Alles andere wäre ein Verstoß gegen die anwaltliche Schweigepflicht.«
»Gut«, sagte der Besucher. »Also – ich soll Ihnen sagen, dass Ihr Verhalten unwürdig ist und geahndet werden wird.«
Eduard Earnest Waits nickte ein drittes Mal. »Ich will ebenfalls ganz offen mit Ihnen sprechen. Erstens: Ich werde Ihren Besuch ignorieren und weitermachen wie bisher –«
»Aber –«, begehrte der Besucher auf.
»Zweitens«, fuhr Eduard Earnest Waits fort, »irrt sich Ihr Auftraggeber, was meine Motive anbelangt.«
Er stand auf und zog den Wandvorhang beiseite. Dahinter hing ein gerahmtes Foto, das das brennende World Trade Center zeigte.
»Im Jahre 2001«, fuhr er fort, »gehörte ich der Sozietät Wayne, Miller and Partners an, die ihren Sitz im 99. Stockwerk des Gebäudes hatte, das Sie hier brennen sehen. Mein Bruder – dessen Porträt Sie hier drüben sehen – gehörte ebenfalls dieser Sozietät an. Die meisten Partner waren meine Freunde. Ich war der Einzige, der am Morgen des 11. September nicht im Büro war. Ein Termin beim Zahnarzt hat mir das Leben gerettet.«
»Oh«, sagte der Besucher leise.
»Nach diesem Tag«, fuhr Eduard E. Waits fort, »tat ich mehr oderweniger dasselbe wie unser damaliger Präsident – ich beschloss, den Terror zu bekämpfen. Doch während unser Präsident sich, wie wir heute wissen, unwirksamer Mittel bediente und ungangbare Wege beschritt, suchte ich nach einer anderen Strategie.«
Er kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück. »Zunächst bewegten sich meine Vorstellungen eher in konventionellen Bahnen – Rechtsbeistand für Terroropfer, Beschlagnahme von finanziellen Mitteln und dergleichen –, doch dann kam es zu dem Anschlag von Madrid. Hunderte Tote. Ein Massaker.« Er lehnte sich zurück. »Und ich bekam davon überhaupt nichts mit.«
Der bärtige Pakistani schnappte nach Luft. »Was? Aber wie ist das –?«
»Ich befand mich damals auf einem zweiwöchigen Urlaub in den Rocky Mountains. Nur ich, ein Rucksack, ein Gewehr und endlose Wälder. Ich musste vor einem Bären ausreißen, verlief mich mehrmals und trank Wasser aus Wildbächen. Und als ich zurück in die Zivilisation kam, stellte ich fest, dass ich einen Terroranschlag verpasst hatte.« Der Anwalt faltete die Hände. »Weil mich keinerlei Nachrichten erreicht hatten. Erstaunlich, nicht wahr? Ich begann, mich zu fragen, was wohl aus dem Terrorismus werden würde, wenn alle Zeitungen, Fernsehsender und so weiter übereinkämen, nicht mehr darüber zu berichten.«
Der greise Mann im Besuchersessel hörte ihm schweigend zu, mit Augen, in denen Angst stand. Angst vor dem Zorn seines Auftraggebers, vermutlich.
»Eine illusorische Vorstellung, dachte ich zunächst«, fuhr Eduard E. Waits fort. »Auf freiwilliger Basis niemals zu erreichen. Doch musste es denn auf freiwilliger Basis geschehen?« Er lächelte kalt. »Als ich Mister Bin Laden gegenüber sagte, das amerikanische Rechtssystem sei die wirkungsvollste Waffe, die es gibt, hat er einfach nicht verstanden, dass ich von Anfang an vorhatte, sie gegen ihn zu richten. Das ist alles.«
© 2007 Andreas Eschbach
Von Andreas Eschbach sind in der Verlagsgruppe Lübbe folgende Titel erschienen:
Bd. 14912 Exponentialdrift
Bd. 15040 Eine Billion Dollar
Bd. 15305 Der Letzte seiner Art
Bd. 15763 Der Nobelpreis
Bd. 24259 Solarstation
Bd. 23232 Kelwitts Stern
Bd. 24332 Das Marsprojekt
Bd. 24337 Die Haarteppichknüpfer
Bd. 24343 Perfect Copy – Die zweite Schöpfung
Bd. 24348 Die seltene Gabe
978-3-7857-2274-9 Ausgebrannt
Sowie als Herausgeber: Bd. 24326 Eine Trillion Euro
Über den Autor:
Andreas Eschbach, 1959 in Ulm geboren, studierte Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete zunächst als Softwareentwickler. Als Stipendiat der Arno-Schmidt-Stiftung »für schriftstellerisch hoch begabten Nachwuchs« schrieb er seinen ersten Roman DIE HAARTEPPICHKNÜPFER. Bekannt wurde er durch den Thriller DAS JESUS VIDEO. Mit EINE BILLION DOLLAR (2001), DER LETZTE SEINER ART (2003), DER NOBELPREIS (2005) und zuletzt
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