Eine Vorhaut klagt an
erhält das übergeordnete den Segen. Schlimmer noch, manche Segen sind anderen übergeordnet, und man musste wissen, welchen Segen man als ersten zu sprechen hatte. Darin schieden sie die Menschen von den Gojim:
Spaghetti und Fleischklöße? Mesones , der Weizensegen, gefolgt von Sche-hakol , dem Alles-andere-Segen.
Cornflakes mit Milch? Sche-hakol für die Milch, gefolgt von Mesones für den Weizen in den Flakes.
Twix, der Schokoriegel mit dem knackigen Keks? Fangfrage: Twix ist nicht koscher. Bei einem koscheren Riegel mit Früchten, Nüssen und anderen Zutaten hängt der Segen natürlich davon ab, warum man ihn isst. Isst man ihn vor allem, weil man die Füllung mag, muss man den entsprechenden Segen für diese Füllung sprechen. Isst man den Riegel dagegen wegen der Schokolade ebenso wie wegen der Füllung, muss man als Erstes einen Sche-hakol für die Schokolade und dann den entsprechenden Segen für die Füllung sprechen.
Theologisch gesehen war ein Riegel es nicht wert.
Die folgende Woche verbrachte ich mit Sündigen und Segnen und Segnen und Sündigen, lobte abwechselnd Gott und trotzte Ihm dann, wie es ein Achtjähriger eben konnte.
Am Montagmorgen stopfte ich mich voll – ich aß eine Schale Fruity Pebbles ( Mesones ), eine Scheibe Toast ( Ha-mozi ), trank ein Glas Saft ( Sche-hakol ), aß einen halben Apfel ( Ha-ez ) und ein paar alte Pommes, die ich unten im Kühlschrank entdeckt hatte ( Haadama ). Eine Mahlzeit, fünf Segen.
Am Dienstag berührte ich mich. Auch nahm ich Brot zu mir, ohne mir vorher rituell die Hände gewaschen zu haben, und am Abend saß ich, bevor ich mich hinlegte, auf der Bettkante und sprach sorgfältig »Scheiße«, »Ficken« und »Arsch«, jeweils ein Dutzend Mal.
Mein Vater hämmerte zornig gegen die Tür. – Licht aus, blaffte er.
Ich lächelte. Für dich und auch für mich, Kumpel.
Am Mittwoch stahl ich meiner Mutter fünf Dollar und sprach keinerlei Segen für die Tüte voller Riegel, die ich davon kaufte. (Erst einmal ein Charleston Chew, der trefe ist, also nichtkoscher, dann ein Chunky, der ein Sche-hakol gewesen wäre, wenn ich nicht versucht hätte, meinen Vater umzubringen. Ein Chunky mit Rosinen wäre Sche-hakol und dann Ha-ez gewesen.)
Am Donnerstag trug ich keine Zizijot . Rabbi Kahn fiel auf, dass die Schnüre nicht an meinen Seiten baumelten, worauf er mich am Ohr packte und vor die Klasse zerrte.
– Rede mit den Kindern Israels , zitierte er laut aus der Tora, während er mir kräftig den Hintern versohlte, – und sprich zu ihnen, dass sie sich Zizijot machen an den Zipfeln ihrer Kleider!
Am Nachmittag dann, nachdem ich sowohl meine Älteren missachtet hatte, indem ich den Müll nicht hinaustrug, worum meine Mutter mich gebeten hatte, als auch ein Gebetbuch befleckt hatte, indem ich es mit auf die Toilette nahm, berührte ich mich – zweimal – und bat Gott stumm, diese Sünden nur dies eine Mal auf Rabbi Kahns Konto zu verbuchen.
Der Segenwettbewerb war am folgenden Morgen, und ich konnte kaum schlafen. Cornflakes? Ha-adama . Kartoffelknisch? Mesones . Root Beer. Ist es eine Wurzel? Ist es Bier? Ficken. Scheiße. Arsch. Miststück. Ich wälzte mich herum, ich segnete und fluchte und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf.
Nachdem Avrumi Gruenembaum eine Woche zu Hause geblieben war, kam er praktischerweise rechtzeitig zum Segenwettbewerb wieder in die Schule. Ich musste mich bremsen, mich nicht zu ihm rüberzubeugen und ihn zu fragen, wie er es geschafft hatte.
– Psst. Avrumi. War es Hummer? Hast du Hummer gegessen? Speckseite? Komm schon, mir kannst du’s doch sagen.
Rabbi Kahn sagte uns, die Weisen sagten uns, die Tora sage uns, dass Gott, als Abraham starb, Isaak getröstet habe, wie es in 1. Mose 25:11 geschrieben stehe: »Und nach dem Tode Abrahams segnete Gott Isaak, seinen Sohn.« Daraus lernen wir, dass es eine ungeheure Mizwe beziehungsweise gute Tat ist, die Trauernden zu trösten. Rabbi Kahn wies uns alle an, wir sollten uns vor Avrumis Pult aufstellen und ihm die Hand geben und den traditionellen Trost für Trauernde sprechen: »Möge Gott dich unter den Trauernden von Zion und Jerusalem trösten.« Mit meinen acht Jahren war ich mit Gottes Kompensationssystem noch nicht so richtig vertraut, aber mir kam der Gedanke, dass mein Vater neben meinen ganzen Sünden womöglich auch alle meine guten Taten kriegen könnte. Ich ging kein Risiko ein.
– Möge Gott dich unter den Trauernden von Zion und Jerusalem
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