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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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sie die Finger der Friseuse, die über ihr Kinn gleiten, über ihre Wangen; dann sammelt die Friseuse das nasse Haar in einer Mulde des Handtuchs und trocknet es vor. - Wenn sie ihm nur Gotisch ersparen und Althochdeutsch, oder wenn ich für ihn antworten könnte, falls sie mit Ablautreihen anfangen. - Jetzt kommt die Chefin, sie hat in dem privaten Hinterzimmer gefrühstückt, hat sich ausgeruht, und bevor sie zu ihrer persönlichen Kundin zurückfindet, die unter einer Haube leidet, segelt sie an allen Kabinen vorbei, um mögliche Veränderungen festzustellen: Ja, guten Tag, Frau Stasny.
      Senta antwortet, während die junge Friseuse mißmutig an ihr
    weiterarbeitet, und auf einmal ist man beim Ereignis des Tages. Nein, vorbei ist es wohl noch nicht, man wird jetzt wohl mitten drin sein. Wie bitte? Das weiß ich nicht: ob mit dem Examen alles geschafft ist. Jedenfalls herzlichen Glückwunsch, sagt die Chefin, und Senta, ohne zu zögern: Danke.
    Was erzählte Jans Lieblingsonkel? Das beste Examen, das je an der amerikanischen Westküste gemacht wurde, fand in einer Zuchthauszelle statt: ein betagter Doppelmörder, der als Neunzehnjähriger seine Eltern umbrachte, weil sie ihm nicht erlaubten, das Verhalten der Nachtvögel zu erforschen, machte unter ungewöhnlichen Sicherheitsvorkehrungen sein Hauptexamen in Ornithologie vor einer Prüfungskommission der Universität von Kalifornien. Er bestand mit höchstem Lob und verzichtete offensichtlich darauf, die prüfenden Professoren in Verlegenheit zu bringen. In der Nacht nach dem Examen erhängte er sich.
      Senta schließt die Augen, lauscht auf die achtlose Geläufigkeit, mit der die junge Friseuse das Haar behandelt, spürt den wohligen Druck der fremden Fingerkuppen auf ihrer Kopfhaut. Eine scheue Männerstimme bietet etwas an, wiederholt das Angebot: Postkarten. Da steht ein Kerl mit dünnem Haar und den eiligen Augen des Gewohnheitstrinkers im Laden und bietet Ansichtskarten an. Kein Bedarf, sagt die Friseuse, aber der Mann hat längst Sentas Nachgiebigkeit erkannt und wartet. Geben Sie mir sechs Karten, sagt Senta. Es ist Ausschuß, das sieht sie, vielleicht irgendwo gestohlen, zur Not kann man sie dennoch gebrauchen, also: sechs Karten, auf denen man, unter Umständen, die Nachricht vom bestandenen Examen verbreiten kann.
      Die Friseuse erscheint frostiger, fast als ob der Kauf gegen sie gerichtet sei, ein Protestkauf, eine Kampfansage, sie blickt nicht ein einziges Mal in den Spiegel. So, bitte. Jetzt unter die Haube. Später steckt Senta die Karten in die Umhängetasche, gibt der Friseuse ein Trinkgeld, das gleichgültig, allenfalls mit angedeutetem Lächeln kassiert wird. Gezahlt wird bei der Chefin an der Kasse. Dann steigt wohl bald die Examensfeier, Frau Stasny? Bald, ja, aber ich muß noch eine Menge vorbereiten. Bevor Senta auf die Straße tritt, schiebt und drückt sie geschickt ihre Frisur zurecht zu gewohnter Lage, wischt sich den Schweiß von den Nasenflügeln: zu Hause wird sie die Frisur endgültig korrigieren. Ein heißer Wind geht durch die Straßen, schlägt ein Knallgeräusch aus den Markisen vor den Schaufenstern heraus. Ihr Rock wird hochgedrückt und klemmt sich zwischen den Schenkeln fest. Tarn dich, Kleine, sagt eine bekannte Stimme, tarn dich und bedeck dich, sonst holen dich die Haifische. Ach, Charles.
      Und Charles, flachbrüstig, bärtig, ein Riese, der vergnügt das Leiden der Welt zu tragen scheint, bietet ihr an, von seiner Melone abzubeißen, die er aus dem Gemüsegeschäft herausgetragen hat. Das einzige, was mich erfrischt, Senta, sagt er, und kommt ihr in diesem Moment augenlos vor hinter der nickelgefaßten Brille. Nein danke. Dein Alter schwitzt jetzt wohl, sagt Charles; in diesen Breiten muß man sein Examen im Februar machen, wie ich. Aber mach dir keine Sorgen: im Grunde läuft alles darauf hinaus, auf blöde Fragen erstklassige Antworten zu geben, und unser Jan wird's schaffen. Ich hab's euch vorausgesagt.
      Charles latscht mit hängenden Schultern neben ihr her, schlägt seine Zähne in die Melonenscheibe, erinnert Senta daran, daß es ihnen beiden beim Abhören nicht ein einziges Mal gelang, Jan in Verlegenheit zu bringen. Du wirst sehen: dein Alter bringt das Examen des Jahres nach Hause. Senta strebt in den schmalen Schatten vor den Geschäften. Geht's dir nicht gut? Du kannst mir helfen, das Bier nach Hause zu tragen, das du nachher trinken wirst. Muß das sein?
      Also zu Feinkost-Grützner, der

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