Eisprinzessin
nicht alle Tage. Ich glaub fast, die Balearen verzaubern euch Männer.«
Am Nachmittag schlenderte Meißner an einem Kaufhaus vorbei. Die Schaufenster waren hübsch dekoriert, ein Santa Claus stand mit einer Handglocke am Eingang, bimmelte wie verrückt mit dieser großen Glocke und verschenkte Süßigkeiten an die Kinder. Plötzlich fand Meißner sich in der Spielwarenabteilung im ersten Stock wieder und sah sich die Spielzeugautos an. Eine Verkäuferin fragte ihn auf Englisch, ob er ein Geschenk für seinen Sohn suche.
Weil er das englische Wort für »Patenkind« nicht kannte, nickte er einfach.
Wie alt er denn sei.
Noch sehr klein, sagte Meißner. Eigentlich ein Baby. Aber er suche ein Geschenk für später, wenn der Junge größer sei.
»Feuerwehrautos werden sehr gern gekauft«, sagte sie, »oder Polizeiautos.«
Das fand er jetzt doch zu plump. Er verließ die Abteilung schließlich mit einem großen orangefarbenen Bagger mit beweglicher Schaufel und einem Baggerfahrer mit weißem Schutzhelm am Steuer. Ein Superteil.
Statt die Rolltreppe zurück zum Ausgang zu nehmen, fuhr er noch ein Stockwerk höher in die Schmuckabteilung. Er beobachtete eine Frau, etwas älter als Marlu, die sich mehrere Silberketten zeigen ließ und einige davon anprobierte. Die, die Meißner am besten gefiel, legte sie gleich wieder zurück. Sie war so lang, dass die Verkäuferin sie drei Mal um den Hals einer Styroporbüste schlang. Silberne Kettenglieder, mit schwarzen Perlen durchsetzt. Die Verkäuferin versicherte ihm, die Kette sei eine ausgezeichnete Wahl für eine jüngere Dame. Er ließ sie sich als Weihnachtsgeschenk verpacken wie schon zuvor den Bagger.
Beim Hinausgehen dachte er, dass dies seit Langem das erste Jahr war, in dem er nicht am vierundzwanzigsten Dezember vormittags loshetzen würde, um in letzter Minute die Geschenke zu besorgen, die er sich am Ende doch genötigt sah einzukaufen. Eigentlich war es ja schade, mit der Kette bis Weihnachten zu warten. Aber wenn er Marlu das Geschenk gleich am Münchner Flughafen überreichte, dann hatte er ja wieder kein Weihnachtsgeschenk. Während er noch darüber grübelte, meldete sich Elmar Fischer. Ein Mann der Praxis.
Er wollte wissen, ob das, was er so meisterlich vorbereitet hatte, denn auch geklappt hätte und die von ihm aufgespürte Blondine nun tatsächlich Charlotte Helmer war. Meißner lieferte Fischer die Kurzzusammenfassung der Ereignisse, klopfte ihm ein paarmal verbal auf die Schulter und schilderte ihm dann sein aktuelles Problem.
»Zwei Optionen, Stefan. Entweder gehst du zurück in den Laden und suchst noch ein paar passende Ohrringe zu der Kette aus, die du ihr dann zu Weihnachten schenkst. Oder du buchst schnell noch zwei Flüge nach Malle für die Feiertage. Das wäre die spendablere, wenn auch die eigennützigere Variante, denn dann könntet ihr mich hier besuchen. Und damit könntest du Marlu echt überraschen. Was meinst du?«
»Ich werd’s mir überlegen.«
Die Sonne versteckte sich hinter einer Wolke, und das Meer war kein bisschen türkis, sondern immer noch wintergrau und glatt wie eine Wolldecke. Die Ballermänner waren zum Glück alle noch in Wanne-Eickel, und Sangría gab es um diese Jahreszeit nicht einmal im Glas, geschweige denn im Eimer. Auf dem Markt wurden Orangen und Mandarinen verkauft, Zitronen und Granatäpfel, alles Früchte des Winters, der hier bei gegenwärtig achtzehn Plusgraden doch sehr gut auszuhalten war. Elmars Idee ist eigentlich gar nicht so blöd, dachte Meißner. Kein heimischer Christkindlmarkt und kein Gänsebraten mit Blaukraut und Knödeln. Kein Rambo-Kollege, den er gerade ziemlich ausgeknockt hatte, und keine Geräusche aus der Teeküche.
Ein Schrei zerfetzte die Stille, und Meißner zuckte zusammen. Es war die Losverkäuferin an der nächsten Straßenecke. »Elgordoparahooooooooy!«, rief sie, aber Meißner konnte sich keinen Reim darauf machen. Er nahm den direkten Weg ins Hotel und packte seinen Koffer.
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Lisa Graf-Riemann, Ottmar Neuburger
HIRSCHGULASCH
Kriminalroman
ISBN 978-3-86358-087-2
»Im Verein mit detailgenauen historischen Kenntnissen … sowie einer Portion Fantasie, ist ein fesselnder Roman entstanden. Das Buch steckt voller Action, Spannung, schlagfertiger Dialoge und grausiger Entdeckungen.«
Passauer Neue Presse
Leseprobe zu Lisa Graf-Riemann / Ottmar Neuburger,
HIRSCHGULASCH
:
Berchtesgaden, 29. Mai 2010
Der Trichter zwischen Göll und Hohem Brett,
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