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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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den geruhsamen Posten neben der Zügelpinguinkolonie eingenommen hätte, nicht ich, der ich nach einigen Stunden an der Anlaufstelle der Boote müde war, mich für eine Viertelstunde von jeglicher Pflicht befreit hatte und somit schlecht vorbereitet war auf den Sturzflug der Raubmöwe, den ich aus den Augenwinkeln wahrnahm, meine Aufmerksamkeit erst geweckt durch den Schrei »Er hat ein Ei«, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Skua mit einem weißen Ei in den Krallen keine drei Schritte von Mrs. Morgenthau entfernt landete, um sich blickte, ob ihr Unbill drohe, bevor sie mit ihrem Schnabel die Eischale durchbrechen wollte, was ihr nicht vergönnt war, denn Mrs. Morgenthau stürzte sich auf die Raubmöwe, entriß ihr mit einer überraschend behenden Bewegung das Ei, hielt es vorsichtig in ihren Händen – während der unterlegene Vogel auf- und davon flog –, stolz auf ihre Rettungstat, ein wenig verblüfft, so wie ich, weswegen ich nicht gleich reagierte, sondern erst, als sie sich von mir entfernte, dem beraubten Pinguin entgegen, der sich nicht bewegte, weil er sein zweites und nunmehr einziges Ei zu beschützen hatte, Mrs. Morgenthau erreichte den Zügelpinguin mit den allerbesten Absichten, sie brachte das Ei wie ein Opferdar, bückte sich, um es möglichst sanft vor dem Bauch des Zügelpinguins abzulegen, ich konnte nur ein hastiges »Tun Sie das nicht« rufen, vergeblich, Mrs. Morgenthau fühlte sich dazu auserkoren, ein Unrecht ungeschehen zu machen, das Ei mit dem zukünftigen Leben unbeschadet dem brütenden Tier zurückzugeben, eine Absicht, die ebenso nobel wie mißverständlich war, denn der Pinguin, dem Angriff eines roten Ungetüms ausgesetzt, öffnete aus dem Instinkt heraus, sein verbliebenes Ei zu verteidigen, den Schnabel und biß in die linke Hand der entsetzt aufschreienden Mrs. Morgenthau, die das Ei fallen ließ und auf ihre Hand starrte, Blut tropfte auf die Steine, erstaunlich viel Blut, ich weiß nicht, ob sie wahrnahm, daß ich ihren Arm ergriff, um mir die Wunde anzusehen, sie riß sich los, um vor dem bissigen Pinguin zu fliehen, rutschte beim ersten Schritt aus und plumpste hin, auf einen anderen Zügelpinguin, der ebenfalls die Eier in seinem Nest hütete und daher nicht schnell genug ausweichen konnte, so wie auch ich zu spät reagierte, um ihren Fall zu bremsen, Mrs. Morgenthaus massiger Oberkörper begrub den hilflosen Vogel unter sich, schneller als ich, so kommt es mir im Rückblick vor, begriffen die anderen Pinguine, was geschehen war, die ganze Kolonie geriet in Bewegung, ein schroffes Quietschen hob an, als ich Mrs. Morgenthau hoch half, an ihrem Anorak klebten verschmierte Eireste, mit einer Hand hielt ich sie fest, mit der anderen rief ich per Funk El Albatros herbei, bevor ich ihre Wunde untersuchte – der Pinguin hatte in das weiche Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger hineingebissen, durch alle Hautschichten hindurch, ein tiefer Schnitt –, das wäre halb so schlimm gewesen, wenn ich die Wunde sofort gereinigt und eine Infektionverhindert hätte, doch in meinem Rucksack fehlte der Erste-Hilfe-Kasten, den wir stets mitnehmen sollten, so daß mir nichts anderes übrigblieb, als mein Taschentuch fest auf die Wunde zu pressen, damit die Blutung gestillt wurde, unter uns ein bewegungslos daliegender Pinguin, um uns herum laute tierische Proteste, ich wollte Mrs. Morgenthau gerade vorschlagen, gemeinsam langsam zur Anlandestelle zu gehen, da fielen einige Schneeflocken auf unsere Hände, ich blickte hoch, das Wetter schlug um, Schneetreiben setzte ein, der Wind heulte auf, die Sichtverhältnisse verschlechterten sich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit, die Brücke teilte uns mit, daß es angesichts der aufkommenden katabatischen Winde, die ein Boot von der Größe eines Zodiacs leicht kippen können, ratsam sei, erst einmal auf der Insel auszuharren, wenn nötig das mitgeführte Zelt aufzubauen, bis der Sturm vorbeigezogen sei, das Schiffshorn ertöne, einmal lang und dreimal kurz, El Albatros erreichte uns, als es Schrotkugeln zu hageln begann und der Sturm alles verschlang, Gipfel, Gletscher, die vier Hügel und den zweifingrigen Granitfelsen, die anderen Lektoren und Passagiere und auch die Pinguine, der Arzt würde es nicht schaffen, zu uns durchzukommen, Mrs. Morgenthau war Half Moon Island ausgeliefert, El Albatros betrachtete ihre Hand und mein blutgetränktes Taschentuch, seine Besorgnis war sichtbar, noch bevor er mir in seinem fehlerhaften Deutsch

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