Elfenmeer: Roman (German Edition)
durchgeschnitten, und dann hatten sie sich beide mit der Hoffnung auf Rettung in die Fluten gestürzt. Und diese Rettung sollte Arn nun in den Tod führen.
»Euer Schuldbekenntnis«, fuhr der Rinieler Richter fort, der an der Stirnseite auf einem Podest hinter einer Tafel stand, an der sich weitere hohe Herren des Gerichts sowie Fürst Averon eingefunden hatten, »Euer Eingestehen und Bereuen Eurer Taten sowie Eure Dienste im Sinne Ihrer Majestät Königin Liadan haben Ihre Majestät dazu bewogen, den vom Rinieler Gericht angestrebten Urteilsspruch des Todes durch Ertränken zu mildern: Am morgigen Tage bei Sonnenaufgang werdet Ihr am Fischerhafen hängen, bis der Tod eintrifft.«
Marinel keuchte, und ihre Rechte mit den drei Fingern flog zu ihrem Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Diese Strafe war nicht gerecht. Er verdiente es zu büßen, doch nicht den Tod! Das hatte sie nie gewollt. Er hatte ihr etwas Besonderes geschenkt. Nicht nur ihren ersten Kuss, sondern Vertrauen in sich selbst, in die Wahrheit. Es steckte nicht nur Böses in ihm, nicht nur Verzweiflung. Er besaß auch einen Funken Güte, den die Umstände fast gänzlich verschüttet hatten. Doch Marinel hatte ihn gesehen, und auch wenn sie ihn nicht liebenkonnte, so wollte sie ihn doch nicht sterben sehen. Hängen … war dies so viel gnädiger als ein Tod durch Ertrinken?
Ihr Blick war auf Arn gerichtet, wie er beim Urteilsspruch langsam den Kopf senkte und ein kaum merkliches Nicken zeigte. Seine Schultern schienen sich anzuspannen, und von seiner Gleichgültigkeit war kaum noch etwas zu spüren. Er war verurteilt, musste sterben.
Marinel hörte das Gemurmel und Raunen um sie herum kaum, sie meinte nur eine zufriedene Stimmung zu vernehmen. Die Leute bekamen ihre Hinrichtung, ihren Schuldigen.
Zwei Gardisten ergriffen Arn, jeder an einem Arm, und zerrten ihn herum. Die Menge teilte sich, um dem Tross aus Soldaten mit dem Verurteilten in deren Mitte Platz zu schaffen, doch Arn schien sich nicht darum zu kümmern. Stattdessen hob er den Kopf und ließ seinen Blick über die Galerie wandern, das Licht der Wandleuchten flackerte über sein blasses Antlitz. Und dann verharrten seine Mandelaugen auf ihr.
Marinel vermochte nicht zu sagen, wie er sie unter all den Elfen hatte finden können, doch er sah sie tatsächlich an, ausdruckslos, ohne Bitterkeit, ohne Freude. Marinel erinnerte sich plötzlich an seine ehrlichen Worte im Palastgarten am Tage des Festes, an das Gefühl, kein Krüppel zu sein, kein Ritter, der es nicht geschafft hatte. Sie war im Einklang mit sich selbst gewesen, und diese Augen, die sie von der Halle her ansahen, waren die von Arn, dem ehrlichen und direkten Elfen, nicht die von Arn, der zur Folter fähig war. So vieles hatte sich seit jenem Moment der gegenseitigen Verbundenheit geändert. Marinel hatte dazugelernt, Dinge erfahren, und neue Fragen hatten sich aufgetan, aber jener Augenblick im Garten schien der Beginn dieser Reise gewesen zu sein. Er war ein Pirat, er hatte gefoltert und getötet, aber er hatte sie ausgesucht, um Güte zu zeigen.
Die Gardisten zerrten ihn weiter, und Arn wandte seinen Blick ab, folgte den Soldaten aus der Menge, die Verwünschungen zischte und ihn bespuckte. Er war ein Pirat und er hatte nie einer sein wollen.
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»Klopft an die Tür, wenn Ihr wieder raus wollt. Wir warten hier.«
Marinel nickte den beiden Wachen zu und trat in das finstere Verlies unter der Ringmauer des Palasts. Ein Knall erscholl in ihrem Rücken, das schwere Vorschieben eines Riegels, und damit war sie eingesperrt. Sie brauchte ein paar Augenblicke, um sich an das schummrige Licht hier drin zu gewöhnen, das einzig von einer kleinen Glaskugel mit silbernem Mirannektar genährt wurde. Die Lampe hing an der feuchten Steinwand, und darunter erkannte Marinel eine hagere Silhouette, die sich gerade vom Bodenstroh zu voller Größe aufrichtete.
»Marinel.« Seine Stimme klang schwach, dabei war er erst wenige Stunden hier unten. Vielleicht war »schwach« aber auch das falsche Wort, eher mutlos. Der kreisrunde Raum war vollkommen leer, Marinel erkannte keine Sitzgelegenheiten, kein Lager, gar nichts. Doch lange würde er ja auch nicht hier drin sein …
Ihre Beine drohten unter ihr wegzuknicken, ihr verletztes Knie zitterte unkontrolliert und ließ sie wohl lächerlich wirken, aber Arn schien das gar nicht aufzufallen. Seine Mandelaugen leuchteten unter dem silbernen Schein aus einem schattenhaften Antlitz und blickten
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