Emilia Galotti - Textausgabe und Lektüreschlüssel
den man sich selber wählt, ist unser Herr so eigentlich nicht – Ich gebe zu, dass Sie dem Prinzen unbedingtem Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich. – Ich kam an seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu dienen: aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines größern Herrn –
MARINELLI . Größer oder kleiner: Herr ist Herr.
APPIANI . Dass ich mit Ihnen darüber stritte! – Genug, sagen Sie dem Prinzen, was Sie gehört haben: – dass es mir leid tut, seine Gnade nicht annehmen zu können; weil ich eben heut eine Verbindung vollzöge, die mein ganzes Glück ausmache.
MARINELLI . Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem?
APPIANI . Mit Emilia Galotti.
MARINELLI . Der Tochter aus diesem Hause?
APPIANI . Aus diesem Hause.
MARINELLI . Hm! hm!
APPIANI . Was beliebt?
MARINELLI . Ich sollte meinen, dass es sonach umso weniger Schwierigkeit haben könne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurückkunft auszusetzen.
APPIANI . Die Zeremonie? Nur die Zeremonie?
MARINELLI . Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen.
[38] APPIANI . Die guten Eltern?
MARINELLI . Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiss.
APPIANI . Ja wohl gewiss? – Sie sind mit Ihrem Ja wohl – ja wohl ein ganzer Affe!
MARINELLI . Mir das, Graf?
APPIANI . Warum nicht?
MARINELLI . Himmel und Hölle! – Wir werden uns sprechen.
APPIANI . Pah! Hämisch ist der Affe; aber –
MARINELLI . Tod und Verdammnis! – Graf, ich fodere Genugtuung .
APPIANI . Das versteht sich.
MARINELLI . Und würde sie gleich itzt nehmen: – nur dass ich dem zärtlichen Bräutigam den heutigen Tag nicht verderben mag.
APPIANI . Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch!
(Indem er ihn bei der Hand ergreift.)
Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht schicken lassen: aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit übrig. – Kommen Sie, kommen Sie!
MARINELLI
(der sich losreißt, und abgeht)
. Nur Geduld, Graf, nur Geduld!
Eilfter Auftritt
APPIANI. CLAUDIA GALOTTI .
APPIANI . Geh, Nichtswürdiger! – Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist in Wallung gekommen. Ich fühle mich anders und besser.
CLAUDIA
(eiligst und besorgt)
. Gott! Herr Graf – Ich hab einen heftigen Wortwechsel gehört. – Ihr Gesicht glühet. Was ist vorgefallen?
APPIANI . Nichts, gnädige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli hat mir einen großen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum Prinzen überhoben.
[39] CLAUDIA . In der Tat?
APPIANI . Wir können nun um so viel früher abfahren. Ich gehe, meine Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes auch fertig.
CLAUDIA . Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf?
APPIANI . Ganz ruhig, gnädige Frau.
(Sie geht herein und er fort.)
[40] Dritter Aufzug
Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen.
Erster Auftritt
DER PRINZ. MARINELLI .
MARINELLI . Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der größten Verachtung aus.
DER PRINZ . Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird Emilia noch heute die Seinige?
MARINELLI . Allem Ansehen nach.
DER PRINZ . Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel! – Wer weiß, wie albern Sie sich dabei genommen. – Wenn der Rat eines Toren einmal gut ist, so muss ihn ein gescheuter Mann ausführen. Das hätt ich bedenken sollen.
MARINELLI . Da find ich mich schön belohnt!
DER PRINZ . Und wofür belohnt?
MARINELLI . Dass ich noch mein Leben darüber in die Schanze schlagen wollte. – Als ich sähe, dass weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen: versucht ich es, ihn in Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, über die er sich vergaß. Er stieß Beleidigungen gegen mich aus: und ich forderte Genugtuung, – und forderte sie gleich auf der Stelle. – Ich dachte so: entweder er mich; oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun, wenn auch; so muss er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit.
DER PRINZ . Das hätten Sie getan, Marinelli?
MARINELLI . Ha! man sollt es voraus wissen, wenn man so töricht bereit ist, sich für die Großen aufzuopfern – man sollt es voraus wissen, wie erkenntlich sie sein würden –
DER PRINZ . Und der Graf? – Er stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht zweimal sagen zu lassen.
[41] MARINELLI . Nachdem es fällt, ohne Zweifel. – Wer kann es ihm verdenken? – Er versetzte, dass er auf heute doch noch etwas Wichtigers zu tun habe, als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er mich auf
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