Emma im Glück
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1 . Kapitel
Stinkbombenalarm!
E s war ein sonniger Dienstag im April. Ich kniete im Garten hinter dem Haus, grub mit beiden Händen ein kleines Loch in die Erde und setzte vorsichtig eine Primel mit sonnengelben Blüten hinein. Die anderen Blumen pflanzte ich direkt daneben. Dann stand ich auf, klopfte mir den Dreck von der Hose und betrachtete mein Werk. Es sah hübsch aus. Drei gelbe Primeln leuchteten vor einem grauen Stein, der ein bisschen wie ein Hundekopf aussah. Drum herum lagen kreisförmig helle Kieselsteine. Und über allem blühte der Fliederbusch. Sein Duft lag im Frühling über dem gesamten Garten.
»Ich hoffe, du magst Primeln, Paul«, sagte ich. »Ich hab sie von meinem Taschengeld gekauft. Die anderen Blumen waren leider zu teuer.«
Paul antwortete nicht. Das tut er nie. Aber das macht nichts, ich unterhalte mich trotzdem gerne mit ihm. Paul ist mein Hund. Besser gesagt, er war mein Hund. Letzten Winter ist er gestorben. Er war schon sehr alt, fast zwölf Jahre, also genauso alt wie ich. Ein richtiger Hundegreis. Mama sagt, er hatte ein langes und erfülltes Hundeleben. Das stimmt, aber es macht die Sache nicht besser. Paul fehlt mir. Ich muss mich erst daran gewöhnen, keinen Hund mehr zu haben. Schließlich war Paul immer da, solange ich denken kann. Als ich klein war, haben wir stundenlang im Garten Fangen gespielt. Und später konnte ich ihm immer alles erzählen. Das kann ich zum Glück immer noch. Wir haben Paul im Garten unter dem Fliederbusch begraben, er ist also gar nicht weit weg. Wenn ich Lust habe, gehe ich zu ihm und rede mit ihm. Er hat immer Zeit für mich. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten aus meiner Familie.
»Du kannst dir nicht vorstellen, was hier los ist, Paul.« Ich setzte mich auf die Bank unter dem Fliederbusch. »Alles dreht sich nur noch um Lili. Lili hier, Lili da. Das nervt vielleicht! Ich wusste echt nicht, dass Babys so anstrengend sind …«
Ich seufzte. Lili ist meine kleine Schwester. Sie ist zwei Monate alt. Alles, was sie kann, ist schlafen, schreien, trinken und die Windel vollmachen. Und zwar genau in der Reihenfolge. Keine Ahnung, warum alle so begeistert von ihr sind. Seit Lili da ist, hat Mama kaum noch Zeit. Andauernd muss sie sich um das Baby kümmern. Alle paar Stunden wird Lili gestillt – auch nachts! Darum ist Mama ständig müde und geht abends meistens noch vor mir schlafen. Früher haben wir uns nach dem Abendbrot oft unterhalten oder alle zusammen einen Film im Fernsehen angeschaut. Das haben wir schon seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht.
»Weißt du, weshalb um Babys so ein fürchterliches Theater veranstaltet wird?«, fragte ich Paul. »Das ist doch völlig übertrieben! Sie können nichts und machen nur Arbeit. Ich finde, Babys werden total überschätzt.«
Paul blieb stumm, doch es tröstete mich trotzdem, mit ihm zu reden. Endlich konnte ich mal jemandem erzählen, was ich wirklich von Lili hielt. Wenn ich zu Hause auch nur eine klitzekleine Bemerkung über nervige Babys machte, fielen sofort alle über mich her.
Mama: »Aber Emma, Lili ist schließlich deine kleine Schwester! Es gefällt mir nicht, wenn du so über sie sprichst.«
Oma: »Emma meint es doch nicht böse. Ich weiß, dass sie ihre Schwester eigentlich über alles liebt, stimmt’s, Emma-Kind?«
Papa: »Duziduziduzi … so ein süßes kleines Baby! So eine süße kleine Stupsnase! Und so süße kleine Fingerchen …«
Ich atmete tief ein. Der Fliederduft beruhigte mich ein bisschen.
»Man kann kein vernünftiges Wort mehr mit den anderen reden«, erzählte ich weiter. »Es ist, als hätte meine ganze Familie eine Gehirnwäsche bekommen und würde alles durch eine rosarote Baby-Brille sehen. Für mich interessiert sich kein Mensch mehr. Ich könnte mir die Haare grün färben oder mir den Bauchnabel piercen lassen – wahrscheinlich würden Mama und Papa es nicht mal merken.« Ich stützte den Kopf in die Hände und starrte missmutig vor mich hin. »Vielleicht sollte ich einfach ausziehen. Dann müsste ich mir wenigstens nicht mehr von morgens bis abends dieses Baby-Gequatsche anhören. Und die anderen wären vermutlich froh, wenn ich weg bin und ihnen nicht mehr in die Quere komme. Falls es ihnen überhaupt auffällt …«
Ich war so damit beschäftigt, mich in meine schlechte Laune hineinzusteigern, dass ich das Rufen zuerst gar nicht hörte.
»Emma! EMMA ! EMMA !«
Monas rundes Mondgesicht tauchte zwischen den Rhododendronbüschen auf.
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