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Endstation Venedig

Endstation Venedig

Titel: Endstation Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaya
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stieg als einziger zu. Um halb fünf war es nur schwach besetzt. Er ging die Treppe hinunter und durch die Kabine aufs Achterdeck, wo er allein war.
    Das Boot legte ab, fuhr unter der Scalzibrücke hindurch und den Canal Grande hinauf Richtung Rialto.
    Durch die Glastüren sah Brunetti, daß die vier Leute in der Kabine alle Zeitung lasen. Er stellte seine Aktentasche auf den Stuhl neben sich und öffnete sie, dann fuhr er mit der Hand in seine innere Jackentasche und zog den einen Beutel heraus. Vorsichtig faßte er ihn an den Ecken und nestelte ihn auf. Zur Seite gewandt, um die Fassade des Museo di Stona Naturale besser sehen zu können, schob er seine Hand unter der Reling durch und schüttete das weiße Pulver ins Wasser des Kanals. Den leeren Beutel ließ er in seiner Aktentasche verschwinden und machte mit dem zweiten dieselbe Prozedur.
    Im goldenen Zeitalter der Serenissima hatte der Doge alljährlich eine umständliche Zeremonie veranstaltet. Er warf einen goldenen Ring ins Wasser des Canal Grande, um die Vermählung der Stadt mit dem Wasser zu vollziehen, das ihr Leben, Reichtum und Macht gab.
    Doch nie war dem Wasser bewußt so ein großer Reichtum dargebo-ten worden, dachte Brunetti.
    Von der Anlegestelle Rialto ging er zur Questura und dort direkt ins Labor. Bocchese war da und schliff eine Schere an einer der Maschinen, die offenbar nur er bedienen konnte. Er stellte sie ab, als er Brunetti sah, und legte die Schere vor sich auf den Tisch.
    Brunetti stellte seine Aktentasche daneben, öffnete sie und zog, sorgsam darauf bedacht, sie nur an den Ecken zu berühren, die beiden Plastikbeutel heraus, die er ebenfalls neben die Schere legte.
    Könnten Sie feststellen, ob Fingerabdrücke des Amerikaners darauf sind?
    fragte er. Bocchese nickte.
    Ich komme nachher runter,
    und Sie sagen es mir dann, ja?

    Der Laborleiter nickte wieder.
    So etwas also?
    Ja.
    Soll ich die Beutel verlieren, wenn ich die Fingerabdrücke ha-be?
    fragte Bocchese.
    Welche Beutel?
    Bocchese griff nach der Schere.
    Sobald ich die hier fertig habe ,
    meinte er und drückte auf den Schalter, worauf die Maschine wieder zu rotieren begann. Brunettis gemurmelter Dank ging in dem schrillen Geräusch von Metall auf Metall unter, als Bocchese sich wieder dem Schleifen der Schere zuwandte.
    Brunetti überlegte, daß es besser wäre, von sich aus zu Patta zu gehen und mit ihm zu reden, nahm die Haupttreppe und blieb vor der Tür seines Vorgesetzten stehen. Er klopfte, hörte etwas und trat ein, wobei er verspätet feststellen mußte, daß der Laut, den er vernommen hatte, keine Aufforderung zum Eintreten gewesen war.
    Das Bild war die klassische Witzblattszene und der Alptraum jedes Bürokraten: Vor dem Fenster stand, die obersten Knöpfe ihrer Bluse offen, Anita aus dem Ufficio Stranieri; einen Schritt vor ihr und gerade auf dem Rückzug ein rotgesichtiger Vice-Questore Patta. Brunetti erfaßte die Situation mit einem Blick und ließ seine Aktenmappe fallen, um Anita Zeit zu geben, den beiden Männern den Rücken zu kehren und ihre Bluse zu schließen. Während sie das tat, bückte Brunetti sich, um die herausgefallenen Papiere aufzuhe-ben, und Patta setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Anita brauchte genau so lange, um ihre Bluse in Ordnung zu bringen, wie Brunetti brauchte, um die Papiere wieder in die Mappe zurückzustecken.
    Als alles wieder da war, wo es hingehörte, sagte Patta förmlich: Danke, Signorina. Ich lasse Ihnen die Papiere nach unten bringen, sobald ich sie unterschrieben habe.
    Sie nickte und ging zur Tür. Im Vorbeigehen blinzelte sie Brunetti zu und bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. Er ignorierte beides.
    Als sie draußen war, trat Brunetti an Pattas Schreibtisch.
    Ich
    komme gerade aus Vicenza. Vom amerikanischen Stützpunkt.
    Ja? Und was haben Sie erfahren?
    fragte Patta, dessen Gesicht
    immer noch ein bißchen rot war, was Brunetti nur mit Mühe igno-rieren konnte.
    Nicht viel. Ich habe mir seine Wohnung angesehen.
    Haben Sie etwas gefunden?
    Nein. Nichts. Aber ich würde morgen gern noch einmal hinfahren.
    Warum?
    Um mit einigen Leuten zu reden, die ihn kannten.

    Was versprechen Sie sich davon? Es war doch eindeutig ein Raubüberfall, der zu weit gegangen ist. Wen interessiert es denn, wer ihn gekannt hat oder was diese Leute über ihn zu sagen haben?
    Brunetti erkannte die Anzeichen von Pattas aufkommender Un-gehaltenheit. Wenn sie kein Ventil fand, würde sein Vorgesetzter sich so hineinsteigern, daß er

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