Endstation Venedig
Elektrogeräte waren an einen Transformator angeschlossen, der die in Italien üblichen 220 Volt auf die amerikanischen 110 brachte. Schafften sie diese Geräte den ganzen Weg von Amerika herüber? Es blieb gerade noch Platz für einen kleinen, quadratischen Tisch und zwei Stühle. An der Wand war ein Gasboiler angebracht, der die Wohnung offenbar mit heißem Wasser und Wärme zugleich versorgte.
Die nächsten Türen führten in zwei Schlafzimmer. In einem stand ein Doppelbett und ein großer Schrank. Das andere war als Arbeitszimmer eingerichtet, mit einem Schreibtisch, auf dem eine Compu-tertastatur nebst Bildschirm an einen Drucker angeschlossen war.
In Regalen standen Bücher und eine Stereoanlage, darunter eine ordentliche Reihe CDs. Er sah sich die Bücher an: die meisten offenbar Lehrbücher, der Rest Literatur über Reisen und – tatsächlich – Religion. Er nahm ein paar davon aus dem Regal und betrachtete sie etwas näher. Christliches Leben im Zeitalter des Zweifels, Spirituelle Transzendenz und Jesus: Das ideale Leben. Autor des letzten war Rev. Michael Foster. Sein Vater?
Die Musik war vermutlich Rock. Einige Namen kannte er, weil Raffaele und Chiara sie schon erwähnt hatten; er bezweifelte, ob er die Musik erkennen würde.
Er schaltete den CD-Player ein und drückte auf die Open -
Taste. Wie ein Patient, der dem Arzt seine Zunge zeigt, glitt die Disc-Lade heraus. Leer. Er drückte die Close -Taste und schaltete
den Apparat aus. Dann probierte er es mit dem Verstärker und dem Kassettenrecorder. Die Armaturenbeleuchtung ging an, ein Zeichen, daß beides funktionierte. Schließlich schaltete er den Computer ein, wartete, bis Zeichen auf dem Bildschirm erschienen, und schaltete ihn wieder aus.
Die Kleidungsstücke im Schrank boten nicht viel mehr. Er fand drei komplette Uniformen, die Jacken noch in den Plastiküberzügen von der Reinigung, alles sorgsam neben einer grünen Hose aufgehängt. Es waren auch einige Jeans dabei, ordentlich gefaltet und auf Bügeln, drei oder vier Hemden und ein dunkelblauer Anzug aus irgendeinem Synthetikstoff. Automatisch griff Brunetti in die Taschen aller Jacken und Hosen, aber er fand nichts; kein Kleingeld, keine Papiere, keinen Kamm. Entweder war Sergeant Foster ein sehr ordentlicher junger Mann, oder die Amerikaner waren vor ihm hier-gewesen.
Er ging ins Bad, hob den Deckel vom Wasserbehälter der Toilette und schaute in den leeren Tank. Er legte den Deckel zurück, öffnete die Spiegeltür des Medizinschränkchens und schraubte ein oder zwei Fläschchen auf.
In der Küche sah er ins Tiefkühlfach des übergroßen Kühlschranks. Eis. Sonst nichts. Weiter unten ein paar Äpfel, eine geöffnete Flasche Wein und ein älteres Stück Käse im Plastikbeutel. Im Backofen standen nur drei saubere Töpfe; die Waschmaschine war leer. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Arbeitsplatte und ließ den Blick langsam umherschweifen. Schließlich nahm er aus der obersten Schublade des Schrankes ein Messer, zog sich einen der Holzstühle vom Tisch heran und stellte ihn unter den Durchlauferhitzer. Er stieg auf den Stuhl und lockerte mit dem Messer die Schrauben am Vorderteil des Geräts. Als er sie gelöst hatte, ließ er sie in seine Tasche gleiten. Nachdem er die letzte herausgeschraubt hatte, steckte er das Messer ebenfalls in die Tasche und schob den Deckel vorsichtig hin und her, bis er sich löste. Er nahm ihn ab und lehnte ihn auf dem Stuhl gegen sein Bein.
An die Innenwand des Boilers waren zwei Plastikbeutel geklebt.
Sie enthielten ein feines, weißes Pulver, seiner Schätzung nach et-wa ein Kilo. Er zog sein Taschentuch heraus, wickelte es sich um die Hand und löste erst den einen Beutel, dann den anderen. Nur um sich zu vergewissern, öffnete er den Reißverschluß des einen, befeuchtete seinen Zeigefinger mit Spucke und stippte ihn in das Pulver. Als er daran leckte, schmeckte er den leicht metallischen, unverkennbaren Geschmack von Kokain.
Er bückte sich und stellte die beiden Beutel auf die Arbeitsplatte.
Dann hob er den Boilerdeckel wieder an seinen Platz, wobei er darauf achtete, daß die Löcher genau über ihre Pendants im Gerät an der Wand kamen. Vorsichtig setzte er die vier Schrauben ein und drehte sie fest. Sorgsam brachte er die Schlitze bei den oberen Schrauben genau in die Horizontale, die unteren ebenso genau in die Vertikale.
Dann sah er auf die Uhr. Er war jetzt eine Viertelstunde in der Wohnung. Die Amerikaner hatten einen Tag zur
Weitere Kostenlose Bücher