Endstation Venedig
Verfügung gehabt, um alles zu durchsuchen; die italienische Polizei ebenso lange. Und doch hatte Brunetti die beiden Päckchen innerhalb einer knappen Viertelstunde gefunden.
Er machte die Tür eines Hängeschrankes auf und sah nur drei oder vier Teller. Er schaute unter die Spüle und fand, was er suchte, zwei Plastiktüten. Die Hand noch immer mit seinem Taschentuch umwickelt, steckte er in jede der großen Plastiktüten einen Beutel Kokain und verstaute sie in den Innentaschen seines Jacketts. Er wischte das Messer an seinem Jackenärmel ab und legte es wieder in die Schublade, dann wischte er mit dem Taschentuch alle Fingerabdrücke von der Oberfläche des Boilers.
Er verließ die Wohnung und schloß die Tür hinter sich ab.
Draußen ging er zu den amerikanischen Soldaten in ihrem Jeep und lächelte ihnen freundlich zu. Vielen Dank. Damit gab er dem einen die Schlüssel zurück.
Na?
fragte der Soldat.
Nichts. Ich wollte nur sehen, wie er gewohnt hat.
Wenn Brunettis Antwort den Soldaten überraschte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
Brunetti ging zu seinem Wagen zurück, stieg ein und bat den Fahrer, ihn zum Bahnhof zu bringen. Er erreichte um Viertel nach drei den Intercity aus Mailand und wollte die Rückfahrt eigentlich ebenso verbringen wie die Hinfahrt, nämlich dasitzen und aus dem Fenster schauen und darüber nachdenken, warum ein junger amerikanischer Soldat umgebracht worden war. Aber jetzt mußte er sich zusätzlich mit einem neuen Gedanken befassen: Warum hatte man nach seinem Tod Rauschgift in seiner Wohnung deponiert? Und wer hatte das getan?
8
Als sie den Bahnhof von Vicenza verließen, ging Brunetti durch den Zug nach vorn, auf der Suche nach einem leeren Abteil der ersten Klasse. Die beiden Plastiktüten wogen schwer in seinen Taschen, und er ging etwas vorgebeugt, um die Ausbeulungen zu kaschieren. Schließlich fand er im ersten Wagen ein leeres Abteil und ließ sich am Fenster nieder, dann stand er wieder auf und schob die Tür zu. Er stellte seine Aktenmappe neben sich und überlegte hin und her, ob er die Tüten hineinpacken sollte oder nicht. Während er noch damit beschäftigt war, wurde die Tür zu seinem Abteil abrupt aufgerissen, und ein Mann in Uniform stand vor ihm. Einen wahn-witzigen Augenblick lang sah Brunetti seine Karriere in Trümmern und sich selbst im Gefängnis, doch dann fragte der Mann nach seiner Fahrkarte, und Brunetti war gerettet.
Als der Schaffner gegangen war, verwandte Brunetti seine ganze Konzentration darauf, nicht in seine Jacke zu fassen oder mit den Ellbogen zu prüfen, ob die beiden Päckchen noch da waren. Er hatte bei seiner Arbeit selten mit Drogen zu tun, aber er wußte genug, um sich darüber im klaren zu sein, daß er ein paar hundert Millionen Lire in jeder Tasche trug: eine neue Wohnung in der einen und vor-zeitigen Ruhestand in der anderen. Der Gedanke reizte ihn wenig.
Er hätte liebend gern beide Päckchen dafür gegeben zu erfahren, wer sie dahin praktiziert hatte, wo er sie gefunden hatte. Wenn er auch nicht wußte, wer, so war das Warum doch ziemlich klar: Welch besseres Motiv gab es für einen Mord als Drogen und Drogenhandel und welch besseren Beweis für Drogenhandel als ein Kilo Kokain, versteckt in der Wohnung eines Mannes? Und wer war besser als Finder geeignet als der Polizist aus Venedig, der, wenn auch nur aus geographischen Gründen, mit dem Verbrechen oder dem Toten nichts zu tun haben konnte? Und in was für eine Sache war dieser junge Soldat wohl verwickelt gewesen, daß man ein Kilo Kokain op-ferte, um die Aufmerksamkeit davon abzulenken? Brunetti machte seine Aktentasche auf und holte das Buch heraus, aber selbst sein Lieblingshistoriker konnte ihn nicht von diesen Fragen ablenken.
In Padua kam eine ältere Frau in sein Abteil und blieb, in eine Zeitschrift vertieft, bis Mestre sitzen, wo sie ausstieg, ohne Brunetti auch nur angesehen oder ein Wort mit ihm gewechselt zu haben.
Als der Zug in Venedig einfuhr, packte er sein Buch weg und stieg aus, wobei er sich vergewisserte, daß von den Leuten, die in Vicenza mit ihm eingestiegen waren, keiner hier mit ausstieg. Vor dem Bahnhof wandte er sich nach rechts zum Anlegesteg der Nummer Eins, blieb kurz davor stehen, drehte sich um und sah zur Uhr am Bahnhof hinüber. Dann änderte er unvermittelt die Richtung und ging zum Anlegesteg der Nummer Zwei auf der anderen Seite des Bahnhofsvorplatzes. Niemand folgte ihm.
Ein paar Minuten später kam das Boot, und er
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