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Endstation Wirklichkeit

Endstation Wirklichkeit

Titel: Endstation Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Klemann
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seine Schulter. Mit sanfter Stimme sprach er: „David! Nein! Bitte nicht!“ Es war eine deutliche Aufforderung, dennoch klang es nach einer Bitte, einem Flehen.
    Der Zug rollte unter ihnen hinweg. Ein Wagon nach dem anderen raste vorbei, und nach wenigen Sekunden waren nur noch die Schlusslichter des letzten Wagens zu sehen. Das Geräusch verebbte genauso schnell wie der Fahrtwind, der bis hinauf zur Brücke zu spüren gewesen war.
    David sank in sich zusammen, während er beide Hände auf das Geländer gestützt hielt. Die Chance war vertan. Der Moment, warum er den ganzen Morgen hier gestanden und worauf er sich in Gedanken so gut vorbereitet hatte, war vorbei. Er spürte die Hand auf seiner Schulter. Sie war das Einzige, was er in diesem Augenblick wahrnahm. Alles um ihn herum war nicht da, war weit weg. Wenn da überhaupt etwas zu sein schien, so war es hinter seinen Tränen verschwommen, unklar und undeutlich – so wie das, was jetzt werden sollte. Aus ihm. Aus seiner Zukunft. Und aus seinem Leben.
    „Danke!“ Andrew unterbrach die Stille. Er war erleichtert, dass David immer noch hier oben stand und sein Vorhaben nicht umgesetzt hatte. Dass sein Leben weiterging.
    David drehte sich langsam herum und lehnte sich mit dem Rücken an das Metallgeländer. Er zitterte am ganzen Körper. Weitere Tränen bahnten sich ihren Weg in die Freiheit. Ein lautes Aufschluchzen folgte, bis er in sich zusammensackte. So heftig und unkontrolliert hatte er an diesem ganzen Morgen noch nicht geweint.
    Andrew kam einen Schritt auf ihn zu und nahm ihn in den Arm. „Ja, David, lass es raus. Weine! Du wirst sehen: Es wird der Moment kommen, an dem du froh bist, dass du nicht dort unten und wahrscheinlich auf mehrere Hundert Meter verteilt liegst. Glaub mir: Alles wird besser, alles wird gut.“
     
    ***
     
    Hatte er am Anfang noch gezögert und sich dagegen gewehrt, so fiel es ihm zusehends leichter, Andrew die Geschichte zu erzählen. Seine Geschichte und die von seinem Versagen, seiner Schuld. Es tat gut, darüber zu sprechen.
    Und Andrew hörte geduldig zu. Er unterbrach David nicht, drängte ihn nicht, sondern blieb einfach nur an seiner Seite. Hin und wieder nickte er verständnisvoll. Aber ansonsten ließ er ihm Zeit und Ruhe, seine Gedanken ordnen und richtig ausdrücken zu können.
    Lange nachdem der Zug weg war, standen sie noch immer auf der Brücke. David weinte die ganze Zeit über. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, wusste nicht, wie lange er schon dort war und heulte. Nach wie vor fragte er sich, warum ein Fremder sich um ihn bemühte. Warum blieb Andy bei ihm? Warum drängte er ihn zu nichts, stellte keine unnötigen Fragen, sondern signalisierte ihm nur durch seine Anwesenheit, dass jemand für ihn da war?
    Davids Tränen versiegten irgendwann. Die Welt um ihn herum wurde wieder klarer.
    „Warum tust du das?“, fragte er Andrew nach einer Weile. „Wieso verschwendest du deine Zeit für jemanden, den du nicht kennst?“
    Andrew lächelte ihn an. „Ich verschwende keine Zeit. Wie kann man Zeit sinnvoller nutzen, als jemanden von einer Dummheit abzuhalten? Ob wir uns kennen oder nicht, spielt dabei doch keine Rolle. Und jetzt kennen wir uns ja! Schon vergessen? Du wolltest mich zu deinen Freunden zählen!“
    Das erste Mal seit Langem huschte der Ansatz eines Lächelns über Davids Gesicht, und er glaubte, so etwas wie Erleichterung zu spüren. Nicht, dass Andrews Handeln ihm etwas von seinen Schuldgefühlen und der Verzweiflung genommen hätte, aber er fühlte sich doch erleichtert, seine Entscheidung, diesen finalen Schritt, nicht getan zu haben.
    „Danke!“, erwiderte David und reichte Andrew die Hand.
    „Ich danke dir, dass du es nicht getan hast. Möchtest du auf den nächsten Zug warten, oder sollen wir hier verschwinden?“
    David sah gedankenverloren auf die Gleise unter sich. „Nein. Ich glaube, ich habe doch nicht den Mut es umzusetzen. Ich will hier weg.“
    Andrew nickte zustimmend. „Okay, dann lass uns gehen. Mein Wagen steht nicht weit. Ich fahr dich nach Hause.“
    Als sie ihr Ziel erreicht hatten, fühlte sich David schon etwas besser. Er war jetzt eindeutig froh, dass Andrew ihn davon abgehalten hatte, vor den Zug zu springen. Seine Probleme waren damit zwar nicht gelöst, aber er begann mehr und mehr zu realisieren, dass sein Plan, sich das Leben zu nehmen, keine gute Idee gewesen war.
    „Wie fühlst du dich? Wenn du möchtest, kann ich noch bei dir bleiben. Ich habe nichts

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