Kirchweihmord
1. Kirchweihgerüche
Katinka trabte langsam den Leinritt entlang. Sie war ziemlich weit gejoggt, zu weit und zu lang für ihre momentan miese Konstitution. Wahrscheinlich hatte die lang anhaltende Wut sie von der Herzog-Max-Straße über die Friedrichstraße, die Lange Straße und die Kapuzinerstraße bis zur Markusbrücke gejagt, wo sie einer spontanen Entscheidung folgend schließlich die Haarnadelkurve zum Regnitzufer genommen hatte. Inzwischen hatte sie sich auf einen ziemlich langsamen, absackenden Schritt verlegt. Morgens um halb sechs war die einzige Zeit, um draußen Sport zu treiben. Es war halbwegs kühl. In wenigen Stunden würde eine unbarmherzige Sonne herabbrennen. Man schrieb Mittwoch, den 20. August im heißesten Sommer der fränkischen Geschichtsschreibung, wie manche behaupteten. Katinka genoss diese Zeit. Sie mochte die Hitze, das klebrige Gefühl auf der Haut, den mit Getränken voll gestopften Kühlschrank. Die Mauern der alten Stadt rückten im Sommer näher heran und umhüllten ihre Bewohner mit mediterraner Geborgenheit. In diesem August erwies sich Bamberg als besonders lethargisch. Schüler und Studenten, die der Stadt sonst ihren unkonventionellen Stempel aufdrückten, waren in die Sommerpause entschwunden. Statt dessen schoben sich Ströme von ausgetrockneten Touristen matt durch die Altstadtgassen, die Einwohner selbst, sofern sie nicht an Ost- und Nordsee ausgeflogen waren, verbrachten ihre Tage im Hainbad, irgendwo sonst am Fluss oder schlossen sich in ihre Altbauten ein, aus denen sie dann vor dem Abend nicht hervorkrochen. Aber nun kündigte sich eine spezielle Zeit an: Die Sandkirchweih, DAS Volksfest der Stadt, einst eine traditionelle Kirchweih für die Bewohner, inzwischen ein Großereignis mindestens für Oberfranken, ganz zu schweigen von den Touristen, die ihre Städtetour extra auf das dritte Wochenende im August verlegten.
Nichts würde ab morgen sein wie immer, das wusste Katinka. Menschenmassen würden sich durch das gesamte Sandgebiet wälzen, an der Stelle, wo sie nun friedlich saß, würden Popcornstände, Bierbuden, Pizzastände, Weinstände für gute Laune sorgen. Kritiker konnten behaupten, es sei alles ein großes Besäufnis – Katinka liebte die Stimmung, die jährlich zur Sandkirchweih durch die ganze Stadt schwappte. Musikgruppen feuerten ihre Dezibel auf die mittelalterlichen Mauern ab. Straßenzüge wurden komplett gesperrt und ganze Scharen von Menschen pilgerten aus allen Himmelsrichtungen in die Stadt. Katinka grinste, als sie das Festzelt betrachtete, das schon seit einiger Zeit aufgebaut am Ufer stand – eigentlich war es als Terrasse über das Wasser gebaut. Die Franken konnten in und um dieses Zelt ihr letztes bisschen in der Hitze geschmolzenes Temperament zusammenkratzen, die roten Köpfe an Strömen von Bier kühlen und den Bär loslassen, wie Tom es gerne formulierte, schließlich war er Berliner. Ach ja, Tom. Katinka kickte ein Steinchen auf die Uferböschung. Alle Häuser von Klein Venedig gegenüber waren schon wunderschön geschmückt mit Wimpeln und Lichterketten. Der Anblick würde ab morgen Abend zwischen romantisch und kitschig liegen, doch selbst Katinka konnte sich dann nicht satt sehen an den verzerrten Spiegelungen der bunten Glühlämpchen auf dem Wasser. Allerdings würde sie die fünf Tage Sandkirchweih – Sandkerwa, wie der Bamberger sagte – ohne ihren Freund Tom durchstehen müssen. Und danach auch noch den Rest des August und, so stand zu vermuten, den vollen September. Ihr aufstrebender Freund, dieser Karrierist von einem Liebsten, hatte einen Auftrag in Prag erhalten, er sollte für eine deutsche Firma ein Verwaltungsprogramm maßschneidern. Genau das Richtige für mich, Kat the Catey, hatte Tom freudestrahlend berichtet.
Nur zeitlich passte der Auftrag Katinkas Meinung nach nicht besonders. Sie war erst vor zwei Wochen zu Tom gezogen. Kompliziert genug war es gewesen, ihren Freund davon zu überzeugen, dass sie beide zusammenziehen sollten. Katinka hockte sich auf eine Bank und streckte ihre müden Beine aus. Selbstkritisch hätte sie zugeben müssen, dass sie zum Umzug auch nicht besonders entschlossen gewesen war. Feministische Gründe stellten da nur die eine Seite der Medaille. Schon einmal hatte sie die eigene Selbständigkeit ein Stück aufgegeben, geblieben war eine traurige Erinnerung an ihren vorherigen Freund.
Wenn man es genau nahm, hatte erst der spektakuläre Abschluß eines Falles im Frühjahr den Anstoß
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