Enwor 9 - Das vergessene Heer
weiter zu denken. Er spürte, daß es ganz einfach war, nur noch ein einziger, konsequenter Schritt bis zu seinem logischen Ende, aber da war plötzlich wieder das graue Spinngewebe in seinem Kopf, die unsichtbare Macht, die ihn daran hinderte, es zu tun.
Und doch gab ihm irgend etwas die Kraft, zu reden. Nicht zu denken, nur zu reden, die Worte in dem Moment zu formen, in dem er sie aussprach. »Ihr wart es, die… die Quorrl geschickt haben, um Dels Armee zu unterstützen«, flüsterte er. Der Druck hinter seiner Stirn wurde schlimmer, erreichte die Grenzen des Erträglichen und nahm weiter zu. Skar hatte das Gefühl, sein Schädel müsse platzen, aber gleichzeitig war es ihm auch unmöglich, aufzuhören.
»Es… es ist die einzige Erklärung«, stöhnte er. »Ihr habt eure… eure eigenen Krieger gegen… gegen eure Verbündeten gehetzt.« Wie durch einen Vorhang aus wogender Schwärze sah er, wie Titch sich hinter Ennart zu voller Größe aufrichtete. Das Gesicht des Quorrl verzerrte sich. Etwas zerbrach in Titch, als er begriff, daß Skar die Wahrheit sagte. Und was sie bedeutete. »Was für ein Unsinn«, sagte Ennart. Er gab sich alle Mühe, seine Stimme so sanft und überlegen klingen zu lassen wie immer, aber es gelang ihm nicht ganz. »Warum sollten wir das wohl tun?«
»Ihr… ihr wollt Enwor gar nicht erobern«, stöhnte Skar.
»Das wolltet ihr niemals. Ihr… ihr wollt es zerstören. Ihr wollt unsere Welt nicht. Ihr wollt eure eigene bauen. Aber dazu muß die alte erst vernichtet werden. Erst unsere, und dann eure.«
Die beiden letzten Worte galten nicht mehr Ennart, sondern Titch, der neben den Ssirhaa getreten war und abwechselnd ihn und Skar voller fassungslosem Entsetzen anstarrte.
»Was dir und deinen Brüdern gestern geschehen ist, ist dasselbe, was sie uns antun, Titch«, fuhr er fort. Er machte eine weit ausholende, zornige Handbewegung. Seine Stimme wurde beschwörend. »Es ist dieser Turm. Der Haß, der unsere Gedanken vergiftet und uns dazu zwingt, diesen Krieg zu führen. Begreif doch, Titch! Sie werden nicht aufhören zu kämpfen, egal ob Del siegt oder nicht! Sie werden sich gegenseitig umbringen, bis keiner mehr da ist, gegen den sie kämpfen können.«
»Und wenn es so wäre?« fragte Ennart.
»Und danach sind die Quorrl an der Reihe«, fuhr Skar fort, noch immer an Titch gewandt. Er wußte, daß der Quorrl die Wahrheit schon längst erkannt hatte. Sie war der Grund des namenlosen Entsetzens, das Skar in seinem Blick gelesen hatte, vorhin, aber auch gestern, als Titch ihn um ein Haar getötet hätte. »Erst uns, und dann euch, Titch. Sie müssen uns nicht einmal töten. Sie brauchen nur zuzusehen, wie wir es selbst tun!« Er konnte regelrecht sehen, wie sich etwas in dem Quorrl krümmte. Titchs Lippen zitterten, aber er brachte keinen Ton hervor, sondern starrte nur abwechselnd Skar und den Ssirhaa an. Es war nicht nur ein Verrat. Ennart war nicht nur Titchs Herr. Er war sein
Gott.
Ein Gott, der zur Erde herabgestiegen war, um seine eigenen Kinder zu vernichten.
Titch stöhnte. »Ist das… ist das wahr, Herr?«
»Es ist zumindest ein interessanter Gedanke, über den nachzudenken sich lohnt«, antwortete Ennart kalt. Lächelnd wandte er sich wieder an Skar. »Und wer weiß — vielleicht stimmt es sogar. Aber selbst wenn… was willst du dagegen tun?«
»Töte ihn, Titch!« sagte Skar.
Titch stöhnte wie unter Schmerzen. Seine Hände zuckten, wurden zu Klauen. Die beiden Zauberpriester hinter Ennart hoben ihre Waffe und wichen hastig ein Stück von dem Quorrl zurück, und auch Skar spannte sich.
Nur Ennart bewegte sich nicht. Reglos und mit einem milden Lächeln stand er da, so völlig von seiner Macht überzeugt, daß er Titch nicht einmal ansah.
Der Quorrl stöhnte erneut. Seine Hände hoben sich, streckten sich nach Ennarts Hals aus, verharrten für die Dauer von drei, vier endlosen Herzschlägen dicht vor seiner Kehle und sanken wieder herab. Mit einem erstickten Keuchen taumelte der Quorrl zurück, prallte gegen die Wand und sank wimmernd in die Knie. »War es das, was du wissen wolltest?« fragte Ennart ruhig.
»Du wolltest meine Macht testen. Du hast es getan. Ich bin froh, daß ich nicht der einzige bin, der seinen Gegner unterschätzt hat, Satai.« Er streckte den Arm aus, ergriff Skars unverletzte rechte Hand und drückte so fest zu, daß Skar vor Schmerz aufstöhnte. »Aber jetzt ist es endgültig genug, kleiner Mann!« fuhr er fort, mit einer Stimme, die wie
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