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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Ravinia und das Leben, das vor ihnen auf der
Straße tobte wie ein avantgardistisches Theaterstück.
    Â»Danke«, sagte Lara zu Lee.
    Â»Ich tue nur, was jeder tun würde.«
    Der Rabe sah ihn kurz an, sagte aber nichts, sondern
widmete sich wieder seinem Gebäck.
    Als sie fertig waren, verkündete Lee schließlich: »Und
jetzt machen wir etwas Kindisches.«
    Auf Fragen nach dem Wohin antwortete er nicht, sondern
scheuchte Lara und den Raben hinaus in die gewundenen Gassen der Stadt.
    Was sie allerdings erwartete, war – wie so vieles in
Ravinia – einmal mehr einfach phantastisch.

    Seit jeher ist das Spiel mit dem Feuer
spannend für Kinder. Denn es sieht nicht nur interessant aus, nein, seine ganz
besondere Faszination erhält es durch zweierlei Faktoren: Es ist hochgradig
gefährlich – und es wird ihnen von ihren Eltern strengstens verboten.
    Welch ungeheure Anziehungskraft also die Geschwister
Skinner auf die Kinder Ravinias ausübten, stand außer Frage.
    Auf der Bühne taten die Geschwister Skinner nämlich
ausschließlich die Dinge, die aus Elternsicht gefährlich und verboten waren.
    Mit dem Feuer zu spielen, war nur ein Teil ihrer
Kunst.
    Aber auch Erwachsene – und
überhaupt Leute jeden Alters – zeigten sich begeistert von den
Harlekin-Geschwistern, die seit einigen Wochen die Stadt mit ihrer Anwesenheit
beglückten.
    Es war nicht so, dass ihr Talent unter den Fittichen
einer der sieben Gilden herangereift wäre. Nein. Sie waren einfach eines
schönen Tages in der Stadt erschienen und bisher hatte niemand sie öffentlich
infrage gestellt. Warum auch? Sie waren auf jeden Fall außergewöhnlich.
    Neider gab es sicherlich zuhauf, doch das Gehabe der
beiden Harlekine erinnerte ein wenig an die Stadtvaganten, die erst im Laufe der letzten Jahre angefangen hatten,
die Stadt zu verlassen. Sie störten sich einfach nicht daran, wenn sie
jemanden störten.
    Hätte man nicht erfahren,
dass es sich bei den beiden um Bruder und Schwester handelte, man hätte sie
kaum voneinander unterscheiden können. Beide waren ausnehmend schlank, ja
drahtig, und strotzten nur so vor Körperbeherrschung. In ihren bunten Flickenanzügen und mit ihren schwarzen
Masken huschten, wirbelten und
tanzten sie in waghalsigen Saltos und irrsinnigen Flickflacks über ihre aus
Holz gezimmerte Bühne.
    Das Publikum auf dem Marktplatz von Ravinia johlte
vergnügt. Vor allem aber waren es die Kinder, denen es den allergrößten Spaß zu
bereiten schien, den Akrobaten zuzusehen.
    Â»Wer von euch kennt das Märchen von Rapunzel?«, rief
Jacob Skinner in die Menge, die sich bis zu dem eher dürftigen Absperrband vor
die Bühne gedrängt hatte.
    Â»Ich«, kam es aus vielen Mündern.
    Â»Und wer von euch weiß, was der Prinz sagte, um zu
Rapunzel in den Turm zu gelangen?«
    Â»Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!«, riefen
die Kinder.
    Â»Richtig.«
    Der Harlekin applaudierte den Kindern gönnerhaft.
    Â»Aber wisst ihr auch, dass der Prinz Rapunzels Haare
vielleicht gar nicht nötig gehabt hätte?«
    Staunen spiegelte sich in den Kinderaugen.
    Ein kleiner Junge, er war vielleicht fünf oder sechs
Jahre alt, meldete sich schließlich etwas schüchtern zu Wort: »Aber der Turm
hatte doch gar keine Treppe.«
    Â»Ha ha«, rief der Harlekin vergnügt. »Das macht aber
nichts.«
    Und schon war er von der Bühne gesprungen und lief auf
die nächste Häuserwand zu. Einen kurzen Augenblick schien es, als wollte er
geradewegs durch die Wand hindurchlaufen, dann nahm er all seinen Schwung
zusammen und stieß sich ab. Sein Fuß fand das Sims eines Fensters im
Erdgeschoss und der Harlekin schoss in die Höhe. Seine Füße fanden beinahe
fliegend Halt in Mauerritzen und an hervorstehenden Steinen, seine Hände
ergriffen die Regenrinne und er machte einen Salto, um schließlich mit einer
Schraube auf dem Giebel des alten Daches zu landen und dort sitzen zu bleiben.
    Â»Der Prinz hätte einfach nur ein Harlekin sein
müssen«, rief er über den Platz und die Kinder tobten begeistert, während der
Rest der Menge applaudierte.
    Â»Na? Habe ich zu viel versprochen?«, raunte Lee Lara
zu, während sie beide in die Hände klatschten, um dem Artistenpärchen ihre
Hochachtung zu zollen.
    Â»Nein, ganz und gar nicht.«
    Und tatsächlich hatten die beiden Harlekine

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