Erdzauber 03 - Harfner im Wind
wälzte er sich auf den Rücken und erblickte das gestirnte Schwert in Ghisteslohms Händen. Endlos schwang es aufwärts, sammelte Licht und Schatten in sich, bis die Sterne hoch über Morgon Feuer und Finsternis sprühten. Er konnte sich nicht bewegen; die Sterne hielten seine Augen fest und seine Gedanken. Er sah, wie sie den höchsten Punkt ihres Bogenlaufs erreichten und stillstanden, ehe sie sich im rasenden Abwärtsschwung verwischten. Und da sah er plötzlich wieder den Harfner, der so ruhig wie damals im Königssaal von Anuin unter den fallenden Sternen stand.
Ein Schrei brach aus Morgon heraus. Mit entsetzlicher Geschwindigkeit sauste das Schwert herunter und traf den Erhabenen. Es durchbohrte sein Herz und zersprang dann in Ghisteslohms Händen.
Morgon, der endlich frei war und sich wieder bewegen konnte, fing den Erhabenen auf, als er stürzte. Er konnte nicht atmen. Schmerz bohrte sich wie eine Schwertklinge in sein eigenes Herz. Der Erhabene umklammerte seine Arme. Seine Hände waren die verkrüppelten Hände des Harfners und die zerschundenen Hände des Zauberers. Er mühte sich ab, trotz der Anstrengung zu sprechen. Sein Gesicht wechselte unter Morgons Tränen immer wieder die Züge. Morgon zog ihn näher an sich heran. Er spürte, wie sich etwas in ihm aufstaute, das wie ein Wahnsinnsschrei von Schmerz und Wut war. Doch der Erhabene begann schon, sich aufzulösen. Mit einer Hand, die aus rotem Stein oder Feuer geformt zu sein schien, berührte er die Sterne auf Morgons Gesicht.
Er flüsterte Morgons Namen. Seine Hand glitt hinunter zu Morgons Herz.
»Befreie die Winde.«
Kap. 16
Ein Schrei, der kein Schrei war, sondern eine Windesstimme, löste sich aus Morgon. Der Erhabene wandelte sich unter seinen Händen zu Feuer und dann zu einer Erinnerung. Das Brüllen, das aus ihm hervorge-brochen war, raste in donnerndem Widerhall durch den Turm - ein gewaltiger, tiefer Ton, der unentwegt anschwoll, bis die Steine rundum zu beben begannen. Winde rüttelten am Turm. Im Chaos der wilden, wunderbaren Stimmen, die ihn umtob-ten, konnte Morgon seine eigene Stimme nicht ausmachen. Er griff nach seiner Harfe. Die Sterne auf ihr waren nacht-schwarz geworden. Er ließ seine Hand oder den messerschar-fen Hauch eines Windes über die Saiten gleiten, und sie zerris-sen. Als die tiefe Saite mit einem klagenden Ton riß, barsten Stein und Trugbild von Stein, die ihn umgaben, und stürzten zur Erde nieder.
Winde, die die Farben von Stein, Feuer, Gold und Nacht hatten, drehten sich kreiselnd um ihn und jagten davon. Der Turm brach mit donnerndem Brüllen zu einer riesigen steinernen Gruft zusammen. Morgon wurde ins hohe Gras geschleudert, wo er auf Händen und Knien liegenblieb. Weder die Kräfte Ghisteslohms noch die Eriels konnte er irgendwo ausmachen. Es war, als hätte der Erhabene sie in jenem letzten Augenblick für immer an seinen Tod gebunden. Schneeflocken wirbelten um ihn, schmolzen, sobald sie die Erde berührten. Der Himmel war totenbleich.
Das,Wissen um das Land, das er in sich trug, spaltete sich in seinem Geist in ein Gestöber von Fragmenten. Er hörte die Stille der Graswurzeln unter seinen Händen; aus den starren Augen eines Toten von An, der am Rande der Ebene stand, blickte er auf die Trümmer des Turms der Winde. Ein mächtiger Baum sank im Regen aus einem nassen Berghang im Hinterland langsam zur Seite; er spürte, wie seine Wurzeln sich stöhnend aus der Erde lösten, als er stürzte. Ein Trompeter in Astrins Heer hob sein goldblitzendes Instrument an den Mund. Die Empfindungen und Gedanken der Landherrscher verflochten sich in Morgons Geist, waren voller Schmerz und Angst, wenn auch die Landherrscher selbst nicht wußten, warum. Das ganze Reich schien sich dort im Gras unter seinen Händen zu formen, schien an ihm zu ziehen, bis sein Geist sich von den kalten, einsamen Einöden bis zum reichgeschmückten Hof von Anuin spannte. Er war Stein und Wasser, ein sterbendes Feld, ein Vogel, der gegen den Wind kämpfte, ein König, der verwundet und verzweifelt am Strand unterhalb der Ebene der Winde lag; er war in den Vesta, in den Geistern der Toten und tausend zart gesponnenen Geheimnissen, in scheuen Hexen und sprechenden Schweinen, in einsam emporragenden Türmen, für die er in seinem Geist Raum schaffen mußte.
Der Trompeter setzte sein Hörn an die Lippen und blies. Im selben Moment donnerte ein Großer Schrei aus den Mündern der Krieger von An über die Ebene. Die Geräusche, der
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