Erfolg
nicht beruhigt. Er stotterte mit Mühe belangloses Zeug.
Johanna, während der Rückfahrt, war tief verwirrt. Die letzten Minuten strich sie einfach durch. Sie wollte nicht den Mann Krüger im Gedächtnis behalten mit einem Gesicht, das kaum verschieden war von dem des Windigen. So tiefer erregte sie seine Veränderung, wie sie sich gezeigt hatte in der Stunde vorher.
Martin Krügers Befreiung war eine Angelegenheit gewesen, die zu Ende zu führen sie sich unumstößlich vorgenommen hatte. Doch niemals hatte sie sich vorgemacht, daß ihrdieser Vorsatz nicht manchmal, oft, lästig war. Der Mann Krüger hatte sein Gesicht verloren, war Sache geworden, Begriff. Jetzt auf einmal wieder stand er leibhaft in ihrer Welt, neu, unvergeßbar.
Unvergeßbar? Wo war der beschwingte einfallreiche Junge von früher? Wo der stille Mann, der graubraune? Sie spürte eine gute, kräftige Freundschaft für diesen neuen Martin, den starken Vorsatz, mit ihm eins zu sein.
Unvergeßbar? Plötzlich, wider ihren Willen, überfiel sie sein gieriges Gesicht der letzten Minuten, sie verwirrend, ihr selber Gier aufstachelnd. Wird es wohl nochmals kommen, daß sie mit ihm reist, mit ihm schläft? Sie vertrieb das Gesicht. Hörte durch das Rattern des Zuges die ruhigen, festen Worte, in denen seine Sicherheit war, in kurzer Zeit wieder unter freiem Himmel zu sein. Wie immer, sie hätte viel wärmer, kräftiger mit ihm reden sollen. Sie ärgerte sich über ihre Lauheit, ihre Schwerfälligkeit. Viel zuwenig hatte sie ihm sagen können, die Zeit war kurz, sie war langsam von Wort, hatte die rechten Sätze nicht zur Hand. Sie nahm sich vor, Martin ausführlich zu schreiben, so, daß ihre Worte nicht eintrocknen konnten, ehe sie ihn erreichten. Sie formte, während der Fahrt, an diesem Brief, so eingesponnen in sich, daß ihre Coupégenossen sie interessiert betrachteten.
In dieser Nacht, kurz vor dem Morgen, schreckte Johanna aus einem traumlosen Schlaf, als hätte sie jemand angerührt. Es war vollkommen dunkel im Zimmer, Johanna wußte nicht, wo sie war. Sie lag in absoluter Leere, im leeren Weltraum. Sie war auf einmal da, in einem Großen, Dunklen, Leeren, allein, ohne Namen, ohne Zusammenhang mit sich, ohne Voraussetzungen, ohne Vergangenheit, ohne Verantwortung. Hinausgeschleudert, neu, in eine unbekannte Welt. Sie wußte, daß es weitläufige Philosophien gab über Raum und Zeit. Aber die nützten ihr jetzt nichts. Sie war ganz auf sich selber gestellt, ganz frei. Sie fröstelte in ihrer Freiheit. Sie spürte mit Grauen den Ablauf ihres Lebens unterbrochen, wie wenn auf einmal ein Fluß in seiner Strömung stillsteht und auseinanderreißt.Sie fiel aus einer großen Verwunderung in eine ungeheure Angst. Auf einmal sollte sie, sie allein, ihr Dasein auf sich nehmen. Selber entscheiden, alles, allein.
Sie riß das Fenster auf. Unten lag, leer im künstlichen Licht, der Kai, rauschte der Fluß. Gierig in die Lungen pumpte sie sich die kühle Luft, die schon nach Morgen roch.
Die Larvenzeit war aus, ihr Leben neu in ihre Hand gegeben. Das Vergangene war nicht. Verpflichtete sie zu nichts, gab ihr kein Recht, keinem ein Recht gegen sie. Es stand bei ihr, ob sie für Martin kämpfen wollte. Sie hatte die Wahl. Wählte. Wird kämpfen.
Sehr früh am Morgen zog sie sich an, ging durch die leeren, morgendlich seltsamen Straßen, weit hinaus vor die Stadt. Stieß auf eine dürftige Badeanstalt. Ein alter Mann kam, sperrte auf. Sie, als wäre sie zu diesem Zweck den weiten Weg gegangen, betrat die Badeanstalt, zog ernsthaft das abgeschabte, entliehene Kostüm an, schwamm hinaus in den schnellen, kühlen Fluß. Sie hatte nie in ihrem Leben etwas getan, auf daß es ein Symbol sei. Ohne sich einen Gedanken zu machen, warum, wozu, spülte sie jetzt die alte Johanna vollends in den Fluß Isar. Es war ein kühler, regnerischer Morgen, und sie blieb allein. Der alte Bademeister wunderte sich über nichts. Sie fuhr zurück in die Stadt, klar, frisch, mit untrüglich sicherem Wissen, was sie zu tun hat und daß jetzt alles selbstverständlich und gut werden wird. Sie wird jetzt zu dem Manne Tüverlin gehen und dann ein gutes Stück Weg mit ihm zusammen. Sie kam in ihrer Wohnung an, eine erwachsene, wissende Frau ihrer Zeit, nicht mehr wollend, als sie kann, nicht mehr verlangend, als ihr zukommt, heiter und ernsthaft.
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Die Bilder des Erfinders Brendel-Landholzer
Kaspar Pröckl fuhr nach Niedertannhausen, erregt und gespannt wie selten in seinem Leben. Er
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