Erknntnisse eines etablierten Herrn
Auslage Hüte betrachtet (er, der keine Hüte trägt), entweichen die Gedanken wieder nach Hause.
Es läßt sich gut leben drüben. Die Mentalität wirkt entwichtigend; die Leute haben mehr Zeit für Spleens, sind ernsthafter im Unernst. An drei Elektrogeschäften ist er vorbeigekommen, auf ungefähr hundert Yards, an drei Elektrogeschäften mit nahezu der gleichen Auslage. Vorne Batteriewecker, Rasierer, Toaströster, dahinter Staubsauger, Haartrockner, Heizöfen, und hinten Bügel-, Wasch- und Geschirrspülmaschinen.
Wo bringen die wären die Menschen hin? Kaufen und wegwerfen wird zur ersten Bürgerpflicht. Wer Konsum verweigert, gefährdet Arbeitsplätze; Bescheidenheit ist asozial!
Zuletzt muß er doch an einem Taxistand nach dem Weg zum Hotel fragen. Es ist ganz in der Nähe, nur nicht da, wo er vermutet hätte. Ein Drehtüroffizier mit bestickter Mütze baggert ihn in die Halle; aus dem Grill kommt im Geschwindschritt Herr Rehbein. Deutlich steht der Name auf der Tafel des vorauseilenden Telefonboys.
Immer noch zu früh, um ins Bett zu gehen!
In der Bar sieht er Männer trinken, rauchen, reden. Viele vom Kongreß vermutlich, er tritt ein, sieht sie deutlicher, unbarmherziger, liebevoller, Männer wie sein Männchen, in. dunkelgrauen Anzügen, bügelfreien Hemden, mit Krawattenklammer und einheitlichen Erfolgsgesichtern.
»Einen Port and Brandy.«
Pamela hat ihn auf den Geschmack gebracht, Pamela, Doreens Mutter, vor Jahren, als Doreen noch lebte. In dem Rauch aber, bei der lauten Musik, schmeckt ihm der Port and Brandy nicht. Ein Gast lacht so fett, so nah der Hustengrenze, daß das Thema nicht schwer zu erraten ist. Sein Glas in der Hand verläßt der Gast von vierhundertelf die Dunkelgrauen, holt sich den Schlüssel mit dem Totschläger und entschwebt, hinauf zu den kochfesten Blüten, die sich vermehrt haben, weil die Gardinen zugezogen sind. Auch von der Kommode blüht es — der zusammengelegte Bettüberwurf.
Lukas stellt das Glas auf den Nachttisch, zieht sich aus, hängt den Anzug an den Türhaken, setzt sich aufs aufgedeckte Bett und sieht, während er den Krawattenknoten löst, wie die Stukkatur an der hohen Zimmerdecke auf einer Seite in die Wand verschwindet: das Bad ist nachträglich eingebaut worden.
Aufräumend geht er hin und her, macht sich zu schaffen, im Zimmer, im Bad, erstaunt, was ein Mensch tun kann, tun soll, tut, bis er endlich im Bett liegt. Jeder einzelne ist ein Haushalt. Sogar unterwegs.
Das Motiv gefällt ihm. Er holt das Aer-Lingus-Köfferchen aus dem Schrank, trinkt den Port an Brandy zu Ende, stellt das Glas zu Apfel und Apfelsine, blättert in seinen Skizzen und Notizen und wird zusehends heiterer. Es hat ihn wieder, das Spiel mit dem vertrackten Blickwinkel, die Suche nach immer neuen Schlüsseln, die dem Unernst die Tür öffnen, der heilsamen Lächerlichkeit. Dabei fällt ihm ein Satz für sein Männchen ein, und er schreibt ihn auf: »Ich habe mich durch Nichtstun zum Unernst hinauf gescheitert.«
Wie von einem Schaufensterdekorateur hingeworfen liegt der Schlafanzug auf dem zurückgeschlagenen Oberbett. Er schlüpft hinein, teilt die kochfesten Blüten der Übergardine, öffnet das Fenster. Gegenüber, eine Etage tiefer, findet eine Spätvorstellung statt: Ein Mann allein, in der Unterhose, Zigarre im Mund, läuft hin und her, räumt auf, höchst unrationell, macht viel zu viele Wege durch immer neue Rauchschwaden, die er hinter sich läßt bei jedem Gang. Dann schließt er das Fenster zur Nachtruhe im eigenen Qualm. Zivilisationsferkel!
Zweiter Tag
Seit neun Uhr sitzt Lukas im Kongreßsaal des Hotels und beobachtet die Teilnehmer, zu denen er selbst gehört, deutlicher, unbarmherziger, liebevoller: Männchen in dunkelgrauen Anzügen, bügelfreien Hemden mit Krawattenklammern und mit einheitlichen Erfolgsgesichtern.
Schon beim Frühstück haben sie ihn an Markenartikel erinnert, an Markenbutter, Markenmarmelade, Markenkaffee; darüber sprechen sie auch jetzt, über Markenartikel, marktanalytisch betrachtet, verarbeiten Daten in Referaten, die in verschiedenen Sprachen vorgetragen, von Markendolmetschern sofort markenjargongerecht übersetzt und über kokett im Ohr steckende Miniempfänger drahtlos empfangen werden. Vor ihnen auf den Tischen liegen stapelweise Marktanalysen, Tabellen, graphische Darstellungen, vertrauliche Prognosen, die nur mit Markenscheuklappen zu verstehen sind. Vielleicht ist es arrogant von mir, daß ich sie so sehe, zu ändern ist es
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